Rezension zu "Geschichte für einen Augenblick" von Ruth Ozeki
Ruth Ozekis "Geschichte für einen Augenblick" ist eine auf den ersten Blick recht abenteuerliche Mischung von Komponenten, die zumeist dennoch erstaunlich gut funktioniert.
Eines Tages findet die Autorin Ruth beim Spazieren am Strand in Kanada ein Tagebuch, das in eine Tüte eingewickelt ist und offenbar von einem Teenager in Japan, Nao, verfasst wurde und den Weg über den Pazifik zu ihr gefunden hat. Fasziniert beginnt sie, darin zu lesen und versucht zugleich, mehr über Nao und ihre Situation herauszufinden.
So ist eine der Hauptkomponenten des Romans Naos Narration ihrer Lebenssituation, die absolut packend geschrieben ist. Naos Stimme ist bestechend, jung, frisch, herzzerreißend tragisch und lässt einen kaum los. Die zweite zentrale Komponente des Romans hingegen, Ruths Seite der Geschichte und die Auswirkungen ihres Fundes auf ihr eigenes Leben, sind deutlich weniger fesselnd.
Es ist durchaus gewagt, dass Ruth Ozeki sich selbst (und ihren Ehemann!) als zentrale Figur in ihrem Roman einsetzt und für mich persönlich eine der Schwachstellen des Romans - diese Selbstreferenz schafft einen kontinuierlichen Bruch, man fragt sich stets als Leser, inwiefern die reale Ruth sich von der fiktiven unterscheidet und ob die Unterhaltungen zwischen Ruth und Ihrem Mann Oliver tatsächlich so seltsam sein mögen?
Eingewoben in die Geschichte sind zahlreiche Themen des Zen-Buddhismus, die einem als Laien aus der Feder einer Zen-Priesterin einen guten Einblick in einige der grundlegenden Konzepte geben.
Gegen Ende kommen einige auch eher pseudo-wissenschaftliche Konzepte mit ins Spiel (das allseits beliebte Stichwort "Quanten", das besonders von Nichtwissenschaftlern enthusiastisch genutzt wird, um allerlei Phänomene zu erklären), die meine Augen doch etwas ins Rollen gebracht haben. Im Gegenzug muss ich sagen, dass Roth Ozeki wirklich schreiben kann. Selbst wenn man nicht ganz an Bord ist, blättern die Seiten sich fast von selbst um. Sie schreibt pointiert, präzise, zugleich auch sehr zugänglich. Dies ist es auch, was die zahlreichen Komponenten des Romans letztlich zusammenhält und ein gelungenes Leseerlebnis schafft. Auch die Übersetzung macht auf mich einen herausragenden Eindruck.
Mir wurde ein Rezensionsexpemplar des Romans vom Eisele Verlag über NetGalley zur Verfügung gestellt und ich gebe meine ehrliche Meinung freiwillig ab. Vielen Dank!