Rezension zu "(Aus)gewandert nach Georgien" von Ruth Rahel Wili
Ohne der Autorin zu nahe treten zu wollen - ich musste bei ihrem Namen und dem Buchtitel lächeln. Viele georgische Namen enden auf -wili, zum Beispiel der hier: Dschughaschwili, besser bekannt als Stalin. Allein wegen ihres Namens kann man die Träume der Ruth Wili verstehen, in denen sie sich in Georgien sah und deshalb unbedingt tatsächlich dorthin wollte. Vielleicht gibt es ja doch so etwas wie frühere Leben, auch wenn ich das nicht glaube.
Da ich schon mehrere ähnliche Reiseberichte gelesen habe, war meine Erwartungshaltung eher gering, denn ich habe gelernt, dass Menschen, die so etwas machen, von einem besonderen Schlag sind: Sie gehen einfach drauf los, haben meistens keine Ahnung von den Ländern, durch die sie streifen werden, und besitzen eine große Schmerzfreiheit in Bezug auf persönliche Befindlichkeiten wie Körperreinheit, ordentliche Klamotten oder einen vernünftigen Schlafplatz am Ende des Tages. Dass man aus solchen Berichten wenig über die durchwanderten Länder lernt, habe ich ebenfalls zu akzeptieren gelernt.
Was für mich also bleibt, ist die Frage, warum machen solche Menschen so etwas und wie verhalten sie sich dabei. Vermutlich spielt dabei die Suche nach was auch immer eine bedeutende Rolle, vielleicht auch die Suche nach sich selbst. Oder die Sehnsucht nach einer Leistung, die gewöhnliche Menschen nicht vollbringen, weil sie anderes im Kopf haben und deshalb auf solche – sagen wir es freundlich – ungewöhnlichen Vorhaben nicht kommen. Die Autorin studierte Germanistik, Hispanistik und Öffentliches Recht und machte dann eine Ausbildung zum Modedesign, wonach sie mehrere Jahre an Schweizer Theatern arbeitete, unter anderem als Inspizientin. Dann kündigte sie diese Stelle sowie ihre Wohnung und machte sich zusammen mit ihrem Hund auf die Wanderung nach Georgien.
In ihrem Buch kann man ihre Erlebnisse nachlesen. Erwartungsgemäß findet man keine Route, anhand der man das Geschehen nachvollziehen kann. Es gibt auch keinen wirklichen Plan. Die Route legte sie vermutlich mit Hilfe ihrer elektronischen Lebenshilfe jeden Tag fest. Zwei Stunden vor ihrem Ziel begann sie sich dann mit den dortigen Übernachtungsmöglichkeiten zu befassen. Alle Achtung: Diese Nerven muss man erst einmal haben. Viel Ausrüstung hatte Ruth Wili nicht dabei. Ein Drittel ihres Rucksacks brauchte allein Ihr Hund, der dann auch noch Zeug schleppen musste. Irgendwann hatte sie auch ihr Zelt satt und schickte es zu einer Freundin zurück.
Man kann das und andere Schritte bestaunen oder den Kopf schütteln. Immerhin hat sie ihr Ziel erreicht und wurde damit glücklich. Verrückt oder bewundernswert – man weiß nicht so recht, was man dazu sagen soll. Da man nicht wirklich etwas Nützliches aus dieser Reisebeschreibung lernen kann, sondern mehr oder weniger nur die persönlichen Erlebnisse der Autorin liest, bleibt das wirklich Interessante die Psyche von Ruth Wili. Oder die Frage: Wie ist ein Mensch beschaffen, der so etwas macht. Wer sich für so etwas interessiert oder gerne für Reisebeschreibungen begeistert, findet hier genügend Stoff. Der Text liest sich flüssig, wenngleich eine gewisse Sprunghaftigkeit der Autorin nicht zu übersehen ist.
Was die Wanderroute anbelangt, so sollte man wissen, dass Frau Wili über den Balkan bis nach Bulgarien gelaufen ist und dann ein Schiff von Burgas nach Batumi in Georgien nahm. Den südlichen Fußweg über die Türkei mied sie, und oben herum hätte sie durch Kriegsgebiet wandern müssen, wobei sie vermutlich keine Visa erhalten hätte.
Einen großen Teil ihrer Schilderung nimmt dann ihr Aufenthalt in Georgien ein. Für Menschen, die dort schon einmal waren, wird es nun lustig. Offenbar scheint Ruth Wili ein sehr offener Mensch zu sein, der leicht in Kontakt zu anderen kommt. Als Exotin ist sie darüber hinaus den neugierigen Einheimischen auch aufgefallen, insbesondere durch ihre Hundeschaar, die schon vor ihrer Schiffsreise auf zwei Tiere angewachsen war und nun noch größer wurde. Mit den Hunden mietete sie Wohnungen, nicht immer zur Freude der Nachbarn. Das wäre in der Schweiz auch nicht anders gewesen.
Einige Einheimische verstanden diese ausgeprägte und aus ihrer Sicht teure Hundeversorgung nicht, vermutlich weil sie gerne auch einige Almosen von Frau Wili bekommen hätten. Ein gewisser Hang zur Selbstdarstellung kann man Ruth Wili vermutlich auch nicht absprechen, denn zurückhaltend wirkt ihr Verhalten in Georgien nicht unbedingt. Dazu passt dann auch die Offenbarung ihrer sexuellen Orientierung, die dem Leser nicht erspart bleibt. Und schließlich machte die Autorin auch noch Bekanntschaft mit der georgischen Bürokratie, da sie dort arbeiten wollte.
Wen das alles interessiert, sollte zu diesem Buch greifen. Ich fand es reichlich selbstbezogen, weil es der Autorin nicht gelingt, über den eigenen Horizont hinaus ihre Umgebung zu betrachten.