Rezension zu Ein ungewöhnliches Mädchen von Ruth Werner
Rezension zu "Ein ungewöhnliches Mädchen" von Ruth Werner
von Heike110566
Rezension
Heike110566vor 13 Jahren
Der Roman "Ein ungewöhnliches Mädchen" war eines der meistgelesenen Jugendbücher in der DDR. Die Erstauflage erfolgte 1958 und es wurde immer wieder neu aufgelegt. Meine Ausgabe ist aus der 14. Auflage 1982. Betrachtet man diesen Roman von Ruth Werner (1907-2000), die unter dem Decknamen "Sonja" einer der kommunistischen Top-Agenten im Zweiten Weltkrieg war und zuletzt bei ihrem Ausscheiden aus dem Dienst 1950 den Rang eines Oberst der Roten Armee inne hatte, muss man natürlich berücksichtigen, dass dieses Buch in einer bestimmten Zeit entstand, daher auch in einem bestimmten Kontext steht und eben auch eine bestimmte Funktion hatte. Erzählt wird die Geschichte von Vera Storm, einem Mädchen aus einem angesehenen berliner Intellektuellenhaushalt der Zeit des Ersten Weltkriegs bis in die 1930er Jahre hinein, wo sie in China im Untergrund für den kommunistischen Widerstand gegen die Kuomintang und die japanische Besetzung der Mandschurei kämpft. Das Buch sollte nicht nur junge Menschen spannend unterhalten, sondern auch das proletarische Klassenbewusstsein bei ihnen entwickeln und sie zu jungen Kommunisten bilden. Literarisch wird Ruth Werner dieser Aufgabe überzeugend gerecht. Sie schreibt unterhaltsam, hat eine Erzählweise, die junge Menschen ans Buch fesselt und geht agitatorisch äußerst geschickt vor. Die Zusammenhänge werden einfach einleuchtend. Auch für einen jungen Erwachsenen, der Zielgruppe dieses Buches. Der Roman ist zweigeteilt. Der Erste Teil erzählt von Veras Erwachen, vom Verstehenlernen der Ereignisse, die sie um sich herum wahrnimmt und wie sie durch hinterfragen und nachdenken, trotz strenger bürgerlicher Erziehung, zur Kommunistin wird. Der Zweite Teil findet dann in einem völlig anderen Umfeld statt. Er spielt in China. Vera hatte noch in Deutschland ihren jüdischen Freund aus der Kindheit/Jugend, Gerd, geheiratet. Dieser bekam bei IG Farben einen Job. Allerdings nicht in Deutschland, sondern in China. Gemeinsam siedeln sie dorthin über. Vera setzt dort ihren Kampf für ihre Ideale, für die kommunistische Weltrevolution fort. Sie geht in den Untergrund und wird im Auftrag der damals verbotenen KP Chinas zur Funkerin ausgebildet und beginnt dann auch für den Widerstand gegen die Kuomintang und die japanischen faschistischen Besatzer zu arbeiten. Sehr viel aus ihrem eigenen Erleben, das sie später auch in ihrer Autobiographie "Sonjas Rapport" (1977 erstveröffentlicht, nach Ende ihrer Schweigeverpflichtung) darstellte, ist in diesem Roman wiederzufinden. Natürlich ist dies kein Buch, dass heute noch verlegt wird. Wir leben in einer anderen Gesellschaft als zu der Zeit, wo dieses Buch entstand und auch viel gelesen wurde. Aus kulturhistorischer und literaturwissenschaftlicher Sicht ist dieser Roman aber nach wie vor zweifellos interessant. Und dass Ruth Werner nicht nur eine Top-Agentin, sondern auch eine sehr gute Erzählerin und Schriftstellerin war, dies wird auf jeden Fall deutlich.