Die aktuelle Lage Schutzsuchender in Europa ist unmenschlich, und um die Konzepte und Problematiken des „Asyls“ zu verstehen, habe ich mir dieses Sachbuch rausgesucht. Unwissend, dass die Meinungen des Autors sich von meinen stark unterscheiden. Dieses Buch hat mich so wütend gemacht, wie ich es schon länger nicht erlebt habe.
Ruud Koopmans' „Die Asyl-Lotterie" polarisiert mit dem Thema Asylpolitik, doch leider mangelt es an Differenzierung und vermittelt einen alarmistischen Ton. Koopmans wählt selektive Daten und Einzelfälle aus, vernachlässigt jedoch statistische Fakten und verzerrt dadurch die Realität. Die einseitige Verallgemeinerung dieser Einzelfälle auf ganze Gruppen und Länder ignoriert die vielfältigen Erfahrungen und Hintergründe von Asylsuchenden.
Zu Terroranschlägen in der EU schreibt er: „Alle Täter waren Muslime. Muslime machen einen erheblichen Teil der Flüchtlinge aus, die seit 2015 nach Europa gekommen sind.” Es gibt zwar auch Christen unter ihnen, aber „dennoch gab es keine Terroranschläge von ihnen”. Er hinterfragt nicht, dass „Anschläge” von Christen in den Medien meistens nicht unter den Begriff des Terrors fallen und demnach in seiner „Statistik” nicht geführt werden. Andere Statistiken des BKA interpretiert er (gerade bei Brandanschlägen von Rechtsextremisten) so, dass es seine Thesen untermauert. Brandstiftung mit Schwerverletzten wird bagatellisiert, da es keinen einzigen Toten gab.
Der Autor betont hauptsächlich die vermeintlich negativen Auswirkungen der Asylpolitik auf die aufnehmenden Gesellschaften, während er positive Aspekte wie den kulturellen und wirtschaftlichen Beitrag von Migranten vernachlässigt. Diese Einseitigkeit trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei, anstatt konstruktive Lösungsansätze zu fördern. Seine Lösungen, die er mit Humanismus tarnt, sind im Endeffekt ein „Verteilen” der Asylsuchenden auf andere, „ärmere” Länder wie zum Beispiel Tunesien. Im Gegenzug soll Tunesien ein bestimmtes Kontingent für Arbeitsmigration oder das visumfreie Reisen in die EU zugestanden werden. Schutzsuchende ohne gültige Identitätsdokumente haben also immer noch Recht auf Schutz, sie sollen ihre Gründe allerdings „nur in einem Drittstaat außerhalb der EU geltend machen” können. Asylbewerber, die aus „Afrika nach Europa kommen, sind aber Wirtschaftsmigranten, die im Sinne des Asyl- und Flüchtlingsrechts keinen Anspruch auf Schutz erheben können.”
Seine „humanistischen” Lösungen gelten nur für Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Irak, …; denn „die Kontingentlösung scheitert aber, praktisch wie moralisch, wenn es um Flüchtlinge aus den direkten Nachbarstaaten der EU geht [...]. Wir können den Ukrainern [...] schwer sagen, dass wir leider nur maximal 325.000 von ihnen aufnehmen können und dass die anderen sich bitte auf eine Warteliste setzen lassen sollen.” Bei Syrern und Afghanen geht das aber.
Nach seiner Aussage hat die ungleiche Behandlung von ukrainischen und Flüchtenden aus anderen Ländern auch nichts mit Rassismus zu tun. Auch, dass Flüchtlinge aus der Ukraine, die nicht „ukrainisch” aussahen, „angeblich” diskriminiert wurden, in dem sie nicht in Züge gelassen oder an der Grenze aufgehalten wurden, erläutert er und schreibt, dass es für solchen Rassismus keinerlei Rechtfertigung gibt. Ich frage mich allerdings, wieso man dann in einem solchen Satz, bei dem er selbst sagt, dass es Augenzeugen für diese Taten gibt, das Wort „angeblich“ nutzt.
Eine tiefgreifende Analyse hätte eine Berücksichtigung der komplexen Zusammenhänge und der strukturellen Ungleichheiten erfordert. Koopmans' Buch neigt dazu, diese Faktoren zu vernachlässigen und fördert somit Stereotypen und Vorurteile gegenüber Asylsuchenden, Migranten und im Speziellen Muslimen.
Insgesamt hinterlässt „Die Asyl-Lotterie" den Eindruck einer einseitigen Schrift (ich sage bewusst nicht Analyse!), die den Diskurs über die Asylpolitik eher behindert als vorantreibt. Eine differenzierte Betrachtung der Fakten, eine richtige Analyse der statistischen Daten und vor allem die Einbindung der Asylsuchenden wären notwendig, um eine fundierte Diskussion und konstruktive Lösungsansätze zu fördern. Das ist zumindest meine Erwartungshaltung an jemanden, der seit Jahren der Vorsitzende des Kuratoriums des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung ist.