Die Geschichte, die hier erzählt wird, trägt auf den ersten Blick ein klassisches Motiv, das jedoch immer wieder neu und auf faszinierende Weise interpretiert werden kann. Im Zentrum steht ein Dämon, der Seelen sammelt und dabei seine Opfer mit großer Bedacht auswählt. Shizuka Satomi war einst eine gefeierte Geigenlehrerin, eine wahre Koryphäe ihres Fachs, deren Schüler allesamt zu berühmten Virtuosen wurden. Doch eines Tages zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Niemand ahnt jedoch, dass sie vor vielen Jahren einen Pakt mit einem Dämon geschlossen hat. Sie versprach, ihm sieben Musikerseelen zu übergeben. Sechs davon hat sie bereits geliefert, doch die siebte steht noch aus. Die Zeit drängt, und die Hölle fordert mit wachsender Dringlichkeit die Erfüllung des Paktes. Eines Tages begegnet Shizuka Katrina, und sie erkennt sofort, dass sie diejenige ist, die die letzte Seele liefern könnte. Doch an diesem schicksalhaften Tag trifft Shizuka auch auf Lan Tran, eine Frau von einer beinahe überirdischen, fast malerischen Schönheit, die alles verändert.
Obwohl die Geschichte zunächst wie ein düsteres, mystisches Drama wirkt, nimmt sie durch die geheimnisvolle Lan Tran eine überraschende Wendung hin zur Science-Fiction. Lan und ihre Familie sind vor langer Zeit aus einem galaktischen Imperium geflohen und haben Zuflucht auf der Erde gesucht. Dort haben sie sich ein unauffälliges Leben aufgebaut, indem sie einen kleinen, altmodischen Donut-Laden betreiben. Ihre wahre, außerirdische Gestalt verbergen sie geschickt, um unter den Menschen nicht aufzufallen. Doch die Idylle trügt: Heimlich arbeiten sie daran, ein Sternentor zu reaktivieren, um im Falle einer Gefahr erneut fliehen zu können. In diesem Kontext begegnen wir einigen nicht-humanoiden Figuren, die als Hologramme in dem Donut-Laden arbeiten. Obwohl sie technisch keine Menschen sind, besitzen sie eine erstaunliche emotionale Tiefe, die sie in mancher Hinsicht menschlicher wirken lässt als einige echte Menschen.
Zu Beginn der Geschichte wird ein intensiver Blick in das Leben von Katrina geworfen, einer jungen transsexuellen Frau, die von ihrer Familie verstoßen wurde. Sie ist auf der Suche nach einem Platz in der Welt und kämpft mit tiefen Selbstzweifeln. Als sie auf Shizuka trifft, findet sie nicht nur eine Lehrerin, sondern auch eine Möglichkeit, sich selbst neu zu entdecken. Die Darstellung ihrer Lebensumstände ist jedoch nicht unproblematisch. Die Autorin beschreibt Katrina als naiv und einfältig, jemand, der seinen Lebensunterhalt mit freizügigen Videos und zwielichtigen Freiern verdient. Diese klischeehafte und stereotype Darstellung wirkt für mich völlig überzogen, da sie der Realität vieler transsexueller Menschen kaum gerecht wird. Andererseits sind die Passagen, die sich mit Katrinas musikalischem Talent und ihrer Liebe zur Geige befassen, gut beschrieben. Die Geigenstunden, die sie mit Shizuka verbringt, zeigen, wie sie langsam aufblüht. Shizuka behandelt Katrina völlig vorurteilsfrei; für sie zählt allein die Musik. Diese Momente verleihen der Geschichte eine besondere emotionale Tiefe.
Neben Katrina und Shizuka treffen noch weitere interessante Figuren in der Geschichte ein, darunter eine Geigenbauerin, die eine wichtige Nebenrolle spielt, und natürlich der Dämon, der wie ein Schatten über allem schwebt. Obwohl die Handlung vordergründig von Musik und dem Geigenspiel getragen wird, berührt sie viele andere tiefgreifende Themen: den Hass auf Andersartigkeit, die Liebe zwischen zwei Frauen, die Selbstfindung virtueller Kinder und die unerwartete Zuneigung zu einem Teenager, den man nicht mehr loslassen möchte. Inmitten dieses emotionalen Chaos und der oft schmerzhaften Prozesse des Erwachsenwerdens wirkt die Science-Fiction-Handlung rund um das Raumschiff eher wie ein kreativer Einfall, der die Geschichte ergänzt, aber nicht wirklich trägt. Das Raumschiff und die damit verbundenen technischen Elemente dienen eher als Rahmen für die Charakterentwicklung und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Ryka Aoki hat mit „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ ein Werk geschaffen, das sich bewusst von traditionellen Erzählmustern löst. Es gibt keine zentrale Hauptfigur, sondern ein Ensemble von Charakteren, die miteinander verwoben sind. Jeder einzelne Handlungsstrang fügt sich am Ende zu einem Ganzen zusammen, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Fazit:
„Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ ist ein literarisches Experiment, das Genregrenzen überschreitet und bewusst Konventionen hinter sich lässt. Es ist eine Mischung aus Goethes „Faust“, einer Sci-Fi-Fluchtgeschichte, einer transsexuellen Geigenspielerin und virtuellen, rebellierenden Jugendlichen – ein außergewöhnlicher Mix, der nach mehr klingt als nach klassischer Science-Fiction. Für Leser, die bereit sind, sich auf diese unkonventionelle Erzählweise einzulassen, bietet das Buch ein interessantes Erlebnis, mit originellen Ideen. Dennoch mangelt es der Geschichte an klassischen Spannungsbögen und lehrreichen Momenten, was sie zu einer Herausforderung für konventionelle Leser macht. Wer sich jedoch auf die Absurdität und die Andersartigkeit der Erzählung einlassen kann, wird am Ende mit einem offenen, aber hoffnungsvollen Happy End belohnt. Ein Buch für jene, die das Experimentelle lieben.
Matthias Göbel
Autorin: Ryka Aoki
Überstzung: Michael Pfingstl
Klappenbroschur: 496 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
Veröffentlichung: 11.01.2024
ISBN: 9783453323094
Ryka Aoki
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Ryka Aoki
Das Licht ungewöhnlicher Sterne
Light from Uncommon Stars
Neue Rezensionen zu Ryka Aoki
Das Licht ungewöhnlicher Sterne war ein außergewöhnliches Buch. Nicht nur weil sich hier verschiedene Genres miteinander verbinden- denn von einer Geigenlehrerin, die ihre Seele an den Teufel verkauft, bis hin zu einer Familie Aliens, die auf der Erde stranden, war in diesem Buch wirklich alles dabei.
Gerade diese Vermischung von SciFi und dem klassischen Teufelspakt fand ich super spannend. Und stellte die Frage: wie viel Macht hat die menschliche Hölle im Universum?
Wir begleiten drei starke und sehr unterschiedliche Protagonistinnen in der Geschichte: die transgender Nachwuchsgeigerin Katrina, die mit ihrem ComingOut zu kämpfen hat und konstant von der Welt verstoßen wird, ihre Geigenlehrerin Shizuka , die auch die Königin der Hölle genannt wird, die scheinbar bereit ist alles für ihre eigene Musik zu opfern und Lan Tran, die Kommandantin eines Raumschiffes , das auf der Flucht vor einem Imperialen Krieg auf der Erde gelandet ist. Besonders Katrina hat mich zu Beginn in ihren Bann gezogen, da Ryka Aoki es anschaulich geschafft hat ihre Ängste und Wünsche zu beschreiben. Dabei wird nichts verschönigt und katrinas Lebensweg ist alles anders als rosig und es wird auch ihre Vergangenheit in der Sxindustrie thematisiert.
Shizuka wirkte auf mich zuerst kalt und unnahbar, ist mir aber ans Herz gewachsen.
Obwohl ich kein Musik Genie bin, hatte ich das Gefühl, dass die musikalische Thematik, die sich durch das Gegenspiel durch das Buch zieht, einfach und verständlich erklärt wurde.
Kleine Minuspunkte gab es für mich für das Ende, was zwar gut war, aber teilweise schon fast etwas zu erzwungen wirkte, ich hätte mir fast ein etwas tragischeres Ende gewünscht, dass etwas besser zur Stimmung des Buches gepasst hätte. Was mich sehr gestört hat, war, dass die Perspektiven im Roman ständig mitten auf einer Seite wechselten, genauer: von Absatz zu Absatz. Das hat mich im Lesefluss sehr gestört.
Manchmal habe ich mich tatsächlich auch gefragt: brauchen wir diese vielen Perspektiven? Ich mochte die drei Protagonistinnen, ABER brauchen Ellen, Tamiko und Lucía ihre eigenne POVs ? Sooo wichtig für die Geschichte kamen sie mir nicht vor
...
Während ich Shizuka und Lan nach wie vor total cool fand, fand ich Katrinas Charakter zwischenzeitlich etwas repetitiv, da sie teilweise den wenigsten Wachstum vorzuweisen schien. Glücklicherweise hat sich das aber noch gelegt, ging mir aber teilweise zu langsam.
Insgesamt fand ich das Buch aber super spannend und fand auch, dass es sehr viele Themen behandelt hat, die zum Nachdenken anregen. Ich habe das gemeinsame Abenteuer mit den Figuren sehr genoßen.
Zuerst ist da ein transsexuelles Mädchen, das von zu Hause flieht, weil sie dort Gewalt zu spüren bekommt. Dann kommt eine weltbekannte Geigenlehrerin, die mit dem Teufel einen Pakt geschlossen hat. Ich habe da gestutzt und war mir nicht sicher, ob ich das wirklich richtig gelesen habe. Und plötzlich waren da Außerirdische, die in einem Donutladen ein Sternentor zu bauen versuchen, und ich war wieder zu überrascht, um das wirklich zu begreifen. Ich war völlig perplex und doch wollte ich das Buch auf keinen Fall abbrechen.
Es ist eine ungewöhnliche Kombination, vermutlich schon eine einzigartige, weil ich mir echt schwergetan habe, über Außerirdische und den Teufel gleichzeitig zu lesen. Aber der Anfang hat funktioniert. Es hat mich begeistert, es hat mich neugierig gemacht und ich wollte das Buch verschlingen.
Irgendwann in der Mitte geht der Autorin die Puste aus und danach verwandelt sich die Geschichte in ein lahmes Ding, das so hart auf ein Happy-End steuert, dass das Buch ekelhaft kitschig wird. Am Anfang traut sich die Autorin so viel, am Ende traut sie sich gar nichts mehr, sondern will unbedingt mehrere Happy-Ends für ihre geliebten Figuren.
Ich habe deutlich mehr erwartet und nicht, dass alles gut wird. Sogar als Lan die Lehrerin bloßstellt und Katrina erklärt, dass die Lehrerin auf Katrinas Seele abgesehen hat, bleibt Katrina voll cool und behauptet, sie hätte so etwas erwartet. Die ganze Glaubwürdigkeit geht schließlich flöten, der Spannungsbogen zerbricht an dem Ziel mit dem Happy-End. Schlussendlich habe ich emotionslos gelesen, weil ich das Buch hinter mich haben wollte, weil es so verdammt langweilig wurde.
Und dann entpuppt sich das Buch als total sexistisch. Ur arg, oder? Die Autorin schreibt über Transsexuelle, über Lesben und über starke Frauen, und ist dabei unglaublich sexistisch. Jeder Bösewicht ist ein Mann.
Katarinas Vater prügelt sie und zerbricht ihre erste Geige, ein Mann. Ihr erster Freund ist ein Typ, der sie eiskalt behandelt und im späteren Verlauf sie sogar missbraucht, ein Mann. Das Kind der Außerirdischen, das zwei Personen tötet und das sich gegen seine Mutter lehnt, ist der Sohn, Markus, wieder ein Mann. Der erste Geigenbauer, der sich über Katarinas Geige aufregt und sich weigert, sie zu reparieren, ist auch ein Mann. Der Moderator, der Katarinas Geschlecht nicht zu ordnen kann und sie lächerlich macht, auch ein Mann. Der Veranstalter ist ein perverser Japaner, der ihr in den Schritt greift, auch ein Mann. Und der Dämon, der nach Katarinas Seele giert, wieder ein Mann. Wenn man das Buch liest, wird man überzeugt, dass nur Männer schlecht sein können, während Frauen vielleicht etwas gemein sind, aber niemals so weit gehen, um als ein Bösewicht zu enden.
Der einzige Mann, der nicht böse ist, ist der Zwillingbruder der Außerirdischen. Seine Schwester ist brillant und in der Lage, komplizierte Rechenaufgaben im Kopf zu lösen. Sie ist eine enorme Stütze für die Familie und eine mögliche Nachfolgerin der Kommandantin, während ihr Bruder den IQ einer Kartoffel hat.
Dabei muss man vor Augen führen, dass die Lehrerin, Shizuka Satomi, sechs Menschen in die Hölle geschickt hat, um ihre eigene Seele zu retten, aber die Autorin beschreibt Shizuka so, dass man sie unmöglich dafür hassen kann. Stattdessen war ich überzeugt, dass diese Frau gut ist und nur einen klitzekleinen Fehler begangen hat, den sie bessern wird. Aber der Geigenbauer wird für seine Weigerung, die Geige zu reparieren, sofort mit einem Herzinfarkt getötet. Dem Moderator wird das Haus niedergebrannt. Das Buch ist und bleibt sexistisch gegenüber Männern und das hat einen grauenhaften Nachgeschmack, der die ganze Story vergiftet.
Abgesehen davon wird extrem viel im Buch gegessen und alles ist Asiatisch, weil die asiatische Küche scheinbar die beste ist und die Asiaten weigern sich im Buch, irgendetwas anderes als Asiatisch zu essen. Und das könnte man locker als rassistisch auffassen. Tue ich aber nicht. Es ist nur bescheuert.
Das Buch hat so viel Potential, hat so einen tollen Anfang, und doch nutzt das die Autorin nicht aus, sondern macht daraus eine lahme Geschichte, die mich schließlich zu quälen begonnen hat. Knapp 500 Seiten später verwandelt sich das Buch in Müll.
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