In unserem Kulturkreis spielt das Denken eine hervorgehobene Rolle. Nicht nur bei Descartes' merkwürdig unlogischem, aber viel diskutiertem "Cogito ergo sum" verbindet sich Denken mit dem Sein. Dabei geht es allerdings um das bewusste Denken. Bei Ryunosuke Koike dreht sich alles um das unbewusste und meistens ungewollte und störende Denken.
Wenn wir uns einmal die Mühe machen und unseren Gedankenfluss bewusst beobachten, dann müssen wir wohl feststellen, dass uns das Gehirn ständig mit seiner Denksucht belästigt. Sowie wir etwas die Konzentration auf das verlieren, was wir gerade tun (und das ist die Regel), fängt das Gehirn an, mit uns in seiner fiktiven Welt herumzutollen. Zunächst kommt irgendein erster Gedanke, der sogleich ein weiteres Stichwort enthält. Daraufhin sucht der unruhige Geist in seinen Datenbanken und fängt nun an, darüber neue Gedanken zu produzieren. Auf diese Weise reisen wir innerhalb von Sekunden durch unser eigenes Universum, ohne dass dies irgendeinen praktischen Nutzen hervorbringt. Unser Gehirn macht mit uns, was es will. Wir haben darauf in der Regel keinen großen Einfluss und können diesen unnützen Gedankenfluss auch nicht einfach stoppen. Denn wenn wir uns das vornehmen, geht der Zirkus erst richtig los.
Vielleicht ist es ein wenig tröstlich, dass dieses leidige Problem, das viele Menschen gar nicht mehr wahrnehmen, weil ihr Gehirn sie bereits völlig im Griff hat, eigentlich nichts mit unser hektischen Zeit zu tun hat, auch wenn sie natürlich den Gedankenfluss durch eine Dauerüberreizung schneller und häufiger in Gang setzt, als das vielleicht in der Vergangenheit der Fall war. Für Buddha, der vor mehr als 2500 Jahren lebte, war dies bereits ein zentrales Problem des Daseins. In den Überlieferungen seiner Anweisungen findet man Methoden, wie man wieder die Bestimmungsmacht im eigenen Körper zurückgewinnt und dabei einen völlig neuen Kontakt zur Außenwelt herstellen kann. Denn ob wir es uns nun eingestehen wollen oder nicht - die ständige Beschäftigung des Geistes mit sich selbst beschneidet unsere Wahrnehmungsfähigkeiten. Leider merken wir das irgendwann nicht mehr.
In Koikes Buch werden Buddhas Methoden für unsere Zeit übersetzt und verständlich gemacht. Um es gerade heraus zu formulieren: Dieses Buch ist eine der besten und praktischsten Erklärungen des Buddhismus, der von den meisten seiner Anhänger als Religion gänzlich missverstanden wird. Beim Buddhismus in seiner ursprünglichen Form handelt es sich um universelle Methoden, die helfen, ein glückliches und zufriedenes Leben in Gelassenheit zu führen. Überflüssiges Denken hingegen stört nicht nur die Außenwahrnehmung, sondern verdunkelt auch den Geist. Jeder, der schon einmal in einer brenzligen Situation gesteckt hat, weiß, dass gerade dann alle möglichen Gedanken auftauchen und im Geiste alle nur denkbaren schrecklichen Szenarien durchgespielt werden, die lediglich Angst machen, gezieltes und energisches Handeln blockieren und am Ende eher selten eintreffen. Und wenn doch, dann hat sie der Verstand oft förmlich herbeigerufen, weil er uns am zielgerichteten Handeln hinderte.
Im ersten Teil erklärt der Autor, wie uns die Denksucht des Verstandes immer unwissender macht, weil sie die Konzentration und Wahrnehmung untergräbt. Er erklärt die drei Grundleiden des Menschen: Wut, Gier und Verblendung. Durch richtiges Denken kann der Geist an Klarheit gewinnen, und seinem Vergehen wird vorgebeugt. Erfüllung erlangt man nicht durch Denken, sondern durch aktive Sinne. Und genau darum geht es bei den im zweiten Teil erläuterten buddhistischen Methoden.
Körper und Geist werden durch zahlreiche Übungen gegen Gereiztheit und Angst zentriert und erlangen eine neue Steuerung. Buddhistische Methoden besitzen immer ein einfaches Grundprinzip: Man beobachtet sich selbst und vermeidet dabei jede Wertung. Tut man es dennoch, setzt sich sofort der nächste Gedankenkreisel in Bewegung. Aber auch das kann man beobachten und einfach dadurch beenden, dass man ohne jede Wertung dieses Abschweifens aufs Neue beginnt, die Wirklichkeit mit allen Sinnen zu beobachten.
In diesem Teil findet man acht Abschnitte, die folgenden Themen gewidmet sind: Sprechen, Hören, Sehen, Schreiben und Lesen, Essen, Wegwerfen, Berühren und Erziehen. In diesen Abschnitten erklärt Koike immer wieder sehr konkret und beispielhaft das einfache Prinzip, das sich durch das ganze Buch und natürlich durch die buddhistische Herangehensweise zieht: nicht wertendes Beobachten und intensive Wahrnehmung durch alle Sinne.
Leser, die nicht mit einer solchen Herangehensweise vertraut sind, werden vielleicht feststellen, dass sie einige der von Koike empfohlenen Übungen auch in abgeänderter Form in modernen Ratgebern gefunden haben. Buddhismus hat überhaupt nichts mit Esoterik zu tun, sondern ist eine uralte Lehre von erstaunlicher Modernität, die sie allein daraus zieht, dass sie wahr ist und dass sich die Menschen auch über viele Jahrhunderte nicht ändern konnten, sondern sich immer wieder mit denselben Problemen herumschlagen.
Damit man einen kleinen Eindruck vom praktischen Nutzen dieses Buch gewinnen kann, möchte ich nur ganz kurz auf die ersten beiden Abschnitte eingehen: Das Sprechen beginnt mit der Beobachtung der eigenen Stimme, heißt es gleich zu Beginn. Unser Dünkel (die Gier nach Anerkennung und Bestätigung) führt oft zu einer völlig überflüssigen Widerrede in der Kommunikation. Unsere Ausreden gegenüber anderen vergrößern deren Leiden, üble Nachrede wird immer auf uns selbst zurückfallen, ebenso wie unser Drang, anderen Menschen überflüssiges Gerede aufzudrängen. Wenn wir anderen ruhig, entspannt und konzentriert zuhören, werden wir seine inneren Qualen wahrnehmen können. Seine Körpersprache wird uns noch mehr verraten. Doch wir beobachten dies alles nicht, weil wir neugierig darauf sind, sondern weil uns diese Wahrnehmungen zufließen und wir erst durch sie die Wirklichkeit verstehen und Mitgefühl für andere Menschen gewinnen können.
Im Kapitel "Schreiben und Lesen" geht es übrigens vornehmlich um die Kommunikation im Internet.
Koikes Buch ist ein großartiger und sehr hilfreicher Text mit vielen Übungen, die viel bewirken können, wenn man sich denn darauf einlässt.