Rezension zu "Die Madonna im Pelzmantel" von Sabahattin Ali
Ankara, 1940er Jahre. Raif Efendi ist ein kränklicher, zurückhaltender Mensch, von ungewöhnlicher Duldsamkeit, in seinem Beruf wie auch in seiner Familie. Warum das so ist offenbart er lediglich einem guten Freund in Form einer längeren Erzählung, die ins Berlin der frühen 1920er Jahre zurückführt. Dort begegnet Raif der Frau seines Lebens, zuerst in Form eines Gemäldes, dann persönlich. Maria ist Malerin und Tänzerin in einem Nachtclub. Sie ist in mancher Hinsicht das genaue Gegenteil von Raif, ist extrovertiert, selbstbewußt, dominant und klar in ihren Forderungen gegenüber dem Leben im allgemeinen und Männern im Besonderen. Auf den ersten Blick scheint es (für den Leser und für Maria) unmöglich, dass der schüchterne, willensschwache Raif mehr als nur ein guter Freund werden kann. Aber Raif ist in seiner Zuneigung unbeirrbar und entschlossen, mit Maria sein Glück zu finden. Im entscheidenden Augenblick seines Lebens zieht er sich jedoch gekränkt zurück anstatt zu handeln. Die spätere Erkenntnis seines Versagens wird ihn vernichten.
Das Buch ist die schmerzhaft präzise Studie eines Menschen, dessen größte Schwäche mangelndes Vertrauen ist, zu sich selbst, zu anderen und dem Leben gegenüber. Großartig vor allem deshalb, weil man spürt, dass der Autor damit eigene Lebenserfahrungen verarbeitet hat. Dass Raifs Schicksal mich berührt obwohl ich diesen Charakter nicht ausstehen kann, spricht für die Qualität der Geschichte.