„Stark von sich eingenommen“ und ihm wird weiter bescheinigt, „es zu verstehen, sich Geltung zu verschaffen und allen Lagen anzupassen.“ (Seite 173 aus der Personalakte Schmidt – Beurteilung vom 14.12.1940)
Sabine Pamperrien gliedert ihre Biographie in vier Teilen: Herkunft und Kindheit: seine Herkunft, sein Elternhaus, seien Erziehung auf der Hamburger Lichtwarkschule. Im Kapitel Unter Einfluss rekonstruiert sie sehr akribisch seinen Werdegang in der Nazi-Zeit, vom frühen (und freiwilligen) Eintritt in die HJ bis zu seinem ebenfalls freiwilligen Eintritt in die Wehrmacht. Im Kapitel Im Krieg zeichnet sie ein genaues Bild seiner Karriere als Soldat sowohl an der Front als auch in der Etappe, wo Schmidt den größten Teil der Kriegszeit verbringt. Die Schlussbetrachtung im Kapitel Der Soldatenkanzler beschäftigt sie sich mit der Haltung und Entwicklung des Nachkriegs-Schmidt.
Sabine Pamperrien arbeitet nach den Regeln der Historiker, sie wertet seine Wehrmachtsakte aus, sie sprach mit Zeitzeugen und macht deutlich was Helmut Schmidt während seiner Zeit als Soldat im Belagerungsring um Leningrad, das ausgehungert werden sollte eigentlich gesehen, erlebt und mitbekommen haben muss.
Die Autorin stellt Schmidt weder als einen in der Wolle gefärbten Nazi noch als einen Kriegsverbrecher dar. „So erging es Helmut Schmidt wie fast all seinen Altersgenossen: Auch er wurde vom herrschenden Mainstream beeinflusst.“ (Seite 116)
Erstaunlich ist lediglich Helmut Schmidts späterer Umgang mit diesem Teil der Geschichte und seiner Biographie. Oder vielleicht doch nicht erstaunlich, denn er reiht sich damit in die endlose Reihe derer ein, die von all dem nichts erfahren haben wollen und eigentlich ganz unpolitisch erzogen wurden und gelebt haben. So wenn er über die Reichskristallnacht sagt: „Sonderbarerweise kann ich mich nicht daran erinnern.“ (Seite 146) und „Er glaubte an den Führer. Nichts unterschied ihn darin von der weit überwiegenden Mehrheit seiner Altersgenossen. (Seite 164)
Helmut Schmidt hat der Autorin den Zugang zu seinen Akten gewährt. Vielleicht ist das für ihn durchaus ein Weg, mit diesem Teil seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen (was er im Kriegsgefangenenlager schon begonnen hatte). Sie schreibt über Schmidts Zeit im Kriegsgefangenenlager Jabbeke: "Die großen Verbrechen der Nationalsozialisten kamen in seiner Selbstanalyse nicht vor. Sprachen die Offiziere in Jabbeke nicht über die Massenmorde im Osten, Geiselerschießungen und die Verwicklung der Wehrmacht in die Verbrechen? Das wäre verwunderlich, denn aus Abhörprotokollen geht hervor, dass in anderen Kriegsgefangenenlagern viel, explizit und kontrovers darüber gesprochen wurde, Hintergrund war überall die Frage, wie die Taten der Deutschen an den Gefangenen gerächt würden. Auch in Jabbeke gab es Gerüchte über das Schicksal, das die Gefangenen erwartete. Schmidt registrierte das und tat die Vermutungen als »Latrinengerüchte« ab. »Ich glaube nichts und stelle mich innerlich auf fünf Jahre ein. « (Seite 269)
„Die Haltung Schmidts war - äußerlich wie innerlich - immer eine militärische.“ (Seite 167) und auch nach dem Krieg blieb er so. „In seiner ganzen Haltung dominierte das Soldatische. Und dessen Prägung stellte die `kritische Generation` nie wirklich in Frage.“ (Seite 278 ) In seinem Buch Weggefährten aus dem Sabine Pamperrien zitiert schrieb Schmidt 1996 auf Seite 68 „Wenn meine Frau und ich heutzutage Arbeiten von Historikern über die Nazizeit lesen, so sagen wir bisweilen: „Mein Gott, der Mann hat ja keine Ahnung – allerdings, woher sollte er sie auch haben? Er war ja nicht dabei.“ (Seite 275)
Helmut Schmidt war dabei, aber bisher hat er keinen Beitrag zur Klärung der eigenen Rolle in dieser Zeit geleistet, sondern, wie so viel andere, ihre moralische Beteiligung relativiert oder ganz geleugnet, in dem sie ihr Erinnern säuberten und eben all das Schreckliche erst nach dem Krieg erfahren haben wollen.
In diesem Sinne ist das Werk von Sabine Pamperrien ein wichtiger Baustein zu einem umfassenden Bild des Alt-Kanzler und auch ein Teil des Mosaikes aus dem sich das Bild seiner Generation ergibt, zu der auch andere prägende Figuren der Bundesrepublik wie Franz Josef Strauss gehören.
Persönliche Anmerkung: Mein Schwiegervater (gleicher Jahrgang wie Helmut Schmidt) kämpfte ebenfalls in der 1. Panzerdivision und war beim Vormarsch auf und beim Rückzug von Moskau dabei. Von ihm und anderen Zeitzeugen, (z.B. aus den Briefen meines auf der Krim 1944 gefallenen Vaters) habe ich ganz andere Wahrnehmungen als die von Helmut Schmidt erfahren. Können wir uns also der Meinung der Tante einer Jugendfreundin von Helmut Schmidt anschließen: „Helmut, du bist so dumm.“ (Seite 155)? Nein. Helmut Schmidt hat schon sehr früh begonnen (schon in der Zeit als Kriegsgefangener) seine eigene Legende zu schaffen. Hat er also nicht das Recht, Wahrheit abzulehnen, wenn diese für ihn nicht angenehm ist? Oder ganz pragmatisch: Wahr ist etwas, wenn es nützt.
Machen Sie sich selbst ein Bild. Lesen Sie dieses Buch. Es lohnt sich.