Cover des Buches Golden House (ISBN: 9783570103333)
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Rezension zu Golden House von Salman Rushdie

Vom Scheitern des Menschen

von serendipity3012 vor 7 Jahren

Rezension

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serendipity3012vor 7 Jahren
„Zu Anfang gilt es immer, ein Leid zu mildern, eine Wunde zu heilen, ein Loch zu füllen. Und am Ende steht immer das Scheitern – das Leid ungelindert, die Wunde nicht verheilt, der Rest melancholische Leere.“ S. 102

Im Golden House wohnt der betagte Nero Golden mit seinen drei erwachsenen Söhnen, Petya, Apu und Dionysos, genannt D. Dies sind nicht ihre echten Namen, sondern die, die sie sich selbst gaben, als sie in das New York des Obama-Amerikas kamen. Namen römischer Helden. Woher sie kamen und warum, das weiß in der Nachbarschaft zunächst niemand, ihre Spuren haben sie gründlich verwischt.

Es ist der junge Dokumentarfilmer René, den Salman Rushdie in seinem soeben erschienenen Roman „Golden House“ die Geschichte um die Goldens erzählen lässt. René wohnt mit seinen Eltern in der Nachbarschaft der Familie, beobachtet sie zunächst fasziniert und findet in ihnen bald das Thema für seinen ersten großen Film. Zunächst ist es eine choral anmutende Wir-Perspektive, aus der er erzählt, die aber bald der Ich-Perspektive weicht, vielleicht schon deshalb weichen muss, weil René nach und nach selbst Teil der Geschehnisse um die Goldens werden wird.

Die beiden ältesten Söhne des schwerreichen Geschäftsmannes Nero Golden trennt nur ca. ein Jahr, sie sind zu Beginn des Romans in ihren frühen Vierzigern. Petya, der Ältere, leidet unter einer autistischen Störung, fühlt sich im Freien nicht wohl und kann in bestimmten Situationen nicht aufhören, zu reden. Der zweite Sohn, Apu, ist Künstler und ein Freigeist. Sie sind die Söhne der ersten Frau des Familienoberhauptes, über deren Verbleib an ihrem neuen Wohnort New York erst einmal niemand etwas weiß. Der jüngste Sohn D. ist dagegen gerade einmal Anfang 20 und entstammt einer Affäre Neros. Das Verhältnis zu seinen Halbbrüdern war stets nicht einfach. Und dann ist da noch die junge und sehr attraktive Russin Vasilisa, die den alten Nero umgarnt und schließlich seine zweite Frau wird. René rätselt über ihre Motive, über ihren Charakter, jedoch lässt sie sich nur ungern in die Karten schauen.

Rushdie siedelt seine Geschichte im Amerika der Obama-Präsidentschaft an: Als die Goldens nach New York kommen, ist er gerade Präsident geworden. Das gegenwärtige Amerika bleibt durch den Roman hinweg stets die Kulisse, vor der die Geschichte spielt und auf die Rushdie immer wieder Bezug nimmt, das Amerika, das er in all seiner Absurdität immer wieder teils mit einem Augenzwinkern, teils mit tiefem Sarkasmus, stets aber mit einem sehr scharfen Blick, seziert.

Langsam spitzen sich die Ereignisse um die Goldens zu – unheilvolle Andeutungen gibt es von Beginn des Romans an, sie tragen dazu bei, dass die Geschichte stets spannend bleibt. René sammelt derweil weiter Material für seinen Dokumentarfilm, wobei wir Leser ihm über die Schulter schauen und Ausschnitte aus dem Drehbuch selbst zu lesen bekommen. Die Grenzen verschwimmen hier, und nie weiß man genau, was sich wirklich so abspielt und was der Phantasie Renés entstammt. Was ist Wirklichkeit, was nur Illusion?

Dass Rushdie das Geschichtenerzählen beherrscht, das hat er zuletzt in seinem Roman „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ bewiesen und auch hier zeigt er sich wieder in Hochform. Mit souveräner Leichtigkeit behält er stets alle Fäden in der Hand, springt hin und her, kehrt zu Charakteren zurück, die er vorher zurückließ, und nie wirkt das allzu konstruiert. Das Ganze in einer leichten, aber nicht simplen Sprache, in zuweilen verschachtelten Sätzen, die zu lesen es mir eine Freude war. Dass ich in den lebensklugen, erfahrenen Beobachtungen des sehr jungen Erzählers René oft den inzwischen 70jährigen Salman Rushdie durchscheinen sah, ist an dieser Stelle mein einziger kleiner Kritikpunkt. Zu vernachlässigen deshalb, weil gerade die Lektüre dieser scharfsinnigen Einschätzungen sowohl der Figuren in seiner Geschichte, als auch des gegenwärtigen Amerikas so erhellend waren und mir einfach Spaß machten.

Es sind einige Themen, die der Autor wie nebenbei in seine Geschichte einflicht: Nicht nur die politische und gesellschaftliche Situation in den USA (auch Donald Trump bekommt sein Fett weg), auch der Stellenwert von Religionen ist wie in früheren Romanen des Autors Teil der Geschichte. Als eine seiner Figuren dann auch noch in Probleme mit ihrer sexuellen Identität geriet, fühlte ich mich kurz an seine Landsmännin Arundhati Roy und ihren neuesten Roman erinnert.

Salman Rushdies „Golden House“ ist ein meisterhafter Roman von einem der besten Geschichtenerzähler, die wir zur Zeit haben, eines der Highlights meines Lesejahres. Sehr klug und sehr unterhaltsam, souverän erzählt, mit spürbarer Lust am Fabulieren. Eine Geschichte voller starker Bilder und Szenen. Letztlich liegt Rusdhies Fokus auf seinen Figuren und ihren Unzulänglichkeiten, ihren Abgründen, ihrem Scheitern – ihrer Menschlichkeit. So wird seine Geschichte universell.

„Aber wäre die Natur des Menschen nicht ein Mysterium, bräuchten wir keine Dichter.“ S. 481

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