Cover des Buches Der Präsident (ISBN: 9783404176588)
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Rezension zu Der Präsident von Sam Bourne

Mitreißend, packend, geradezu entsetzlich realistisch

von JeannetteBauroth vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Packender Thriller, geradezu erschreckend realistisch

Rezension

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JeannetteBaurothvor 6 Jahren
Wie weit darf man zum „Wohle der Allgemeinheit“ gehen? Darf man einen einzelnen Menschen töten, um andere zu retten, für die er eine potenzielle Gefahr darstellt? Und wer darf entscheiden, wer sterben muss?
Das sind die Fragen, die das Buch „Der Präsident“ aufwirft.

Meine erste Reaktion beim Lesen dieses Buches war: Wann wurde das geschrieben? Erschienen sind sowohl das englischsprachige Original „To Kill the President“ als auch die deutsche Ausgabe im Juli 2017. Das heißt, das Buch entstand spätestens Anfang des Jahres. Und das ist unglaublich erschreckend, denn das im Eingang beschriebene Szenario könnte sich genauso gut letzte Woche ereignet haben.

Überhaupt punktet der Thriller mit sehr viel Authentizität. Das deutsche Cover deutet auch nicht gerade subtil an, um wen es sich wohl handeln könnte, obwohl der Name des Präsidenten im ganzen Buch nicht ein einziges Mal fällt. Aber das muss er auch nicht, denn jeder einzelne Hauptcharakter kann problemlos einem tatsächlichen Politiker zugeordnet werden, auch wenn der eine oder andere davon zwischenzeitlich das Weiße Haus verlassen hat. Bis auf die vermutlich fiktive Protagonistin Maggie Costello, die im Büro des Rechtsberaters des Präsidenten arbeitet, und aus deren Perspektive wir den Großteil des Buches erleben. Maggie steht vor der eingangs gestellten Frage und trifft eine Entscheidung. Und diese Entscheidung löst eine Kaskade von Ereignissen aus, mit denen sie so keinesfalls gerechnet hätte.

Dinge, die mir gefallen haben:

1. Sam Bourne aka Jonathan Freedland weiß, wovon er schreibt. Die klugen Analysen, die er seinen Figuren in den Mund legt, ermöglichen tiefe Einblicke in die Psyche der Wähler und Machthaber in Washington. Und ich bin davon überzeugt, dass er mit seinen Einschätzungen goldrichtig liegt.
2. Das Buch ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Einmal erleben wir die Geschehnisse aus der Sicht von Bob Kassian, dem Stabschef, einmal aus der Sicht von Verteidigungsminister Jim Bruton, bisweilen aus der Sicht des Attentäters und überwiegend aus der Sicht von Maggie. Der Leser kann sich ein umfassendes Bild von den Gefühlslage der entsprechenden Personen machen und somit besser die Beweggründe für ihre jeweiligen Handlungen verstehen. Das ist wichtig, denn hier gibt es kein Schwarz und Weiß, nur sehr viel Grau in allen möglichen Schattierungen.
3. Dem Leser wird etwas zugetraut. Man ahnt schon recht früh, wer auf welcher Seite steht, und ich weiß es immer sehr zu schätzen, wenn der Autor das den Protagonisten auch ähnlich schnell merken lässt.
4. Die Tempowechsel. Der Thriller ist zwischenzeitlich so rasant erzählt, dass ich das Buch erst mal weglegen und etwas anderes, Leichtes, lesen musste, weil es mir zu intensiv wurde. Die intensiven Passagen wechseln sich jedoch mit ruhigen ab, sodass man zwischendurch ein wenig Luft holen kann.
5. Das Ende. Schon ungefähr zur Hälfte des Buches habe ich mich gefragt, welchen Ausgang diese Geschichte wohl realistisch nehmen könnte. Bourne hat eine sehr gute Möglichkeit gefunden, seine Geschichte abzuschließen, ohne den Leser zu enttäuschen, und das in vielerlei Hinsicht.

Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben:

Ich fand Maggie bisweilen ein wenig naiv, erst recht für jemanden in ihrer Position. Und bei manchen Sätzen war ich mir nicht sicher, ob da vielleicht die Sicht eines Mannes durchschimmert oder sie dem Charakter der Hauptperson geschuldet sind. Beispiel: „Er krempelte die Ärmel des weißen Baumwollhemds hoch. Der Anblick seiner Unterarme sandte einen vertrauten erotischen Reize durch Maggies Nervensystem, der ihr Gehirn erreichte, ehe sie ihn unterdrücken konnte.“ Na, das müssen ja ein paar dolle Unterarme sein …

Fazit:
Ein unglaublich packender Thriller, der zwar nicht den Anspruch erhebt, dokumentarisch aus Washington zu berichten, aber solche Authentizität ausstrahlt, dass man keine Sekunde daran zweifelt, dass es sich jederzeit genauso zutragen könnte. Und der dem Leser aufzeigt, dass es nicht immer nur die offensichtlichen Dinge zu fürchten gilt, sondern die Schaltzentralen der Macht womöglich völlig woanders liegen. Gleichzeitig erlaubt er über die Protagonisten einen Einblick in das Wesen von Personen, die stellvertretend für ganze Personengruppen stehen — Politiker, Soldaten, Wähler.
Für mich ein Buch, bei dem ich jeden Abend Gesprächsbedarf hatte.
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