"Die Leute fragen mich oft, warum ich so lange gewartet habe meine Geschichte zu erzählen. Das ist eine einfache Frage, aber die Antwort ist es nicht." (Sam Pivnik)
Wer sich für ein Buch über den Holocaust entscheidet, dem ist von vornherein klar, dass es keine leichte Lektüre wird. Auch wenn es ein trauriges und deprimierendes Thema ist, so sollte es unbedingt so oft wie möglich aufgearbeitet werden. Berichtet von Zeitzeugen, wie Sam Pivnik. Mag es solche Bücher zuhauf geben, ist es dennoch wichtig, solche Erfahrungen immer und immer wieder zu erzählen, damit niemand vergisst, was damals geschehen ist und wie grausam die Menschen sein können.
Die Zeit wird durch die Generationen immer mehr in Vergessenheit geraten und das darf einfach nicht passieren. Gerade in der heutigen Zeit ist das Thema sehr aktuell.
Sam Pivniks Tatsachenbericht „Der letzte Überlebende“ ist kein Buch, welches man einfach so liest. Es ist ein packendes und wichtiges Zeitzeugnis aus der Zeit des Holocausts, welches mit seiner Schonungslosigkeit besticht und für jeden eine wichtige Erfahrung ist! In diesem Buch wird einem vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass so etwas niemals wieder geschieht.
Nicht reißerisch wird das Gräuel beschrieben. Ruhig und sachlich berichtet Sam Pivnik, der diese Hölle überlebt hat. Der Stil ist einfach und ungekünstelt gehalten. Eindringlich wird es dennoch und letztlich wird Sam Pivniks Bericht durch viele Fakten ergänzt. Sam erzählt seine Geschichte in ziemlich nüchterner Weise, ohne große Emotionen. Es gibt keine Effekthascherei in diesem Buch, gewiss ist es detailliert und Sam spart nirgendwo an seinen Schilderungen – warum auch? So war es, so hat er es erlebt! In Auschwitz, an der Rampe, im Kohlebergwerk, auf den Todesmärschen, auf dem schwimmenden KZ-Lager – der Cap Arcona.
Sam könnte verbittert oder hasserfüllt sein, stattdessen schildert er die Ereignisse möglichst objektiv, wobei seine Gefühle und das Entsetzen trotzdem spürbar bleiben. Der Tatsachenbericht ist eher nüchtern, fast kühl, was ich passend fand. Das was Sam als Jugendlicher erlebt hat, war so schrecklich, dass allein die Schilderung der Tatsachen ausreicht, um den Leser betroffen zu machen. Eine pathetische Wortwahl oder ein Drücken auf die Tränendrüse wäre hier zu viel gewesen.
Den Hauptteil des Buches bildet die Zeit, als Sam im Alter zwischen dreizehn und zweiundzwanzig war. Vom Einmarsch der Nazis in Polen bis zu seiner Befreiung durch die Briten. Grausam waren die Bedingungen um das tägliche Überleben in dieser Zeit für Juden. Am eindrücklichsten war für mich die Beschreibung der Zeit und Erlebnisse in Auschwitz.
In der Ich-Perspektive lässt Sam den Leser seine traurige Geschichte – eine wahre Geschichte, wie sie nie hätte passieren dürfen und was noch wichtiger ist, nie wieder passieren darf – hautnah miterleben. Detailliert und schonungslos, doch immer sachlich. Ergänzt wird der Bericht durch zahlreiche Bilder und Karten.
Es lässt sich eigentlich kaum vorstellen, dass ein einziger Mensch dieses Grauen und diese Willkür überlebt hat. Aber Sam hat es geschafft und ist dem Tod unzählige Male knapp entwischt. Hätte sich ein Filmregisseur oder Buchautor seine Geschichte ausgedacht, wäre er mit dieser wohl durch sämtliche Instanzen gefallen, da sich kaum eine unglaubwürdigere Szenerie ausmalen lässt. Denn Sam überlebte nicht nur Auschwitz, sondern Anfang 1945, als die Alliierten vor den Toren von Auschwitz standen, auch noch den aberwitzigen Todesmarsch der KZ-Häftlinge, der Pivnik bis vor die Tore Hamburgs führte.
Die Geschichte beginnt mit Sams Erzählungen darüber, wie er schwer erkrankt mit „Judenfieber“ (Typhus) auf der Krankenstation in Auschwitz-Birkenau liegt und nur knapp dem Tode entkommt, da ihn der berüchtigte Dr. Mengele trotz seiner schweren Krankheit nicht in die Gaskammer bringen lässt.
Dann macht die Geschichte einen Sprung zurück. Sam berichtet über seine Kindheit und das Aufwachsen in Bedzin. Es war ein friedliches Leben und ein glückliches. Eine unbeschwerte Kindheit. Bis zu dem Tag an dem die Deutschen kamen. Dem folgte das Leben im „Ghetto“ Kamionka, und die Deportation nach Auschwitz-Birkenau. Emotionslos berichtet er wie er dort seine Familie verlor, über seine schrecklichen Erlebnisse, die Grausamkeiten der SS, dem allgegenwärtigen Tod, die Angst der Nächste zu sein und dem „Lageralltag“. Er hatte sehr schnell gelernt, wie er sich verhalten musste, um nicht aufzufallen und in das Visier der sadistischen SS-Männer zu geraten.
"Was war das hier für ein Ort, an dem Männer mit dem Knüppel bewusstlos geschlagen wurden, nur weil sie eine höfliche Frage gestellt hatten? An dem Verrückte im Schlafanzug einem heimlich zuflüsterten, man solle ein falsches Alter angeben?" (S. 85)
Kernstück des Buches sind die Lager-Beschreibungen in Auschwitz-Birkenau, die das Grauen und die Unmenschlichkeit in allen Details wiedergeben. Die komplexen Mechanismen über verschiedene Abläufe im Leben und der quälerische Alltag werden anhand von Sam Pivniks Eindrücken gut herausgearbeitet. Mit seinem ausgeprägten Überlebenswillen schafft er das, was unmöglich scheint: Er findet einen Weg, dieses Lager lebend zu verlassen. Doch auch danach muss er weiter um sein Überleben kämpfen. Es ist unglaublich, wie oft Sam dem Todesengel entkommen ist.
Sam kann Auschwitz verlassen und kommt in ein anderes Lager, Fürstenberg. Dort wird er als Arbeiter im Bergwerk eingesetzt. Grauenvolle Erlebnisse warten auch da auf ihn. So wird er Beispielsweise gezwungen, sich an einer Hinrichtung zu beteiligen.
Dem folgt der Todesmarsch, der ihn schlussendlich auf die Cap Arcona führt. Fatalerweise wurde die Cap Arcona, das am 3. Mai 1945 mit rund fünftausend KZ-Häftlingen im Hafen von Neustadt lag, durch die britische Luftwaffe bombardiert, wobei das Schiff in Flammen aufging. Nur ein paar Hundert Passagiere überlebten. Einer von ihnen war Sam Pivnik, der mit einem ganz besonderen Überlebensgen ausgestattet zu sein schien.
Sam berichtet auch über sein Leben nach dem Krieg, über das Schicksal anderer Häftlinge und über die Verfolgung der Naziverbrecher. Oder vielmehr – Nichtverfolgung. Erschütternd war auch sein Bericht über die „Rückkehr“ in die alte Heimat und den Ort seiner Kindheit, Jahrzehnte später.
Mich haben besonders die letzten Kapitel nach der Befreiung berührt. Wie die Gefühle der Opfer unter den Teppich gekehrt wurden, wie mit den Verbrechern des Regimes umgegangen wurde und wie selbst Häftlinge SS- Leute beschützten.
In diesem Buch erfährt man viel über die grausamen Erlebnisse die Sam Pivnik erlebt und ertragen hat. Man erfährt die Wahrheit darüber, wie schrecklich der Holocaust wirklich war und was den Menschen dort angetan wurde. Wie entwürdigend und menschenverachtet das Regime mit ganz normalen Menschen wie du und ich, umgegangen ist.
Die unvorstellbaren Grausamkeiten, die Sam erleben musste, lassen einen stellenweise das Blut in den Adern gefrieren. Immer wieder stellt sich die Frage, wie viel ein Mensch aushalten und damit einigermaßen unbeschadet weiterleben kann.
Insgesamt liefert dieses Buch schockierende Einblicke in die NS-Zeit. Alles kommt sehr glaubwürdig herüber und kann den Leser kaum kalt lassen. Gleichzeitig lässt sich das Buch kaum weglegen, weil man hofft, dass das Grauen für Sam doch endlich ein Ende haben muss.
Die Geschichte von Sam Pivnik ist ein gelungenes Zeitdokument. Es ist die Dokumentation eines Schicksals, das Sam mit Millionen anderer geteilt hat, mit dem Unterschied, dass er es als einer der wenigen überlebt hat und heute davon erzählen kann.
Ich denke alle sollten diese Bücher lesen. Immer wieder. Damit wird das Bewusstsein dafür geschärft. Vielleicht kann es verhindern, dass wir jemals wieder in so einen Abgrund blicken müssen. Niemals sollte dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte vergessen werden. Und es lässt sich nur hoffen, dass sich solche Gräueltaten niemals mehr wiederholen werden. Leider wird dies wohl ein Wunschdenken bleiben. Schlussendlich bleibt nur die schreckliche Erkenntnis, dass das grausamste Tier, dass jemals einen Fuß auf unsere schöne Erde gesetzt hat, wohl immer der Mensch bleiben wird.
Wir können uns den Schrecken der Nazizeit gar nicht entziehen und müssen Sam Pivniks Leid leibhaftig mitzufühlen. Es ist einfach nur erschreckend zu lesen, obwohl die Geschichte bekannt ist. Trotzdem war ich einfach fassungslos und konnte das Gelesene einfach nicht fassen. Der Holocaust wäre nie möglich gewesen, wenn nicht so viele Menschen mitgemacht hätten. All diejenigen, die weggeschaut haben und nichts davon gewusst haben wollten, sind genauso schuldig, wie die Täter.
Nie wieder – das Denken viele – und dennoch ist der Schoß, aus dem all dieses Grauen einst kroch, heute genauso fruchtbar wie damals. Erneut machen wir uns schuldig.
Natürlich hat die heutige Generation rein gar nichts mit den damaligen Machthabern zu tun und braucht sich für die damaligen Untaten keine Schuld einzuräumen. Aber sie sollte wachsam sein, antisemitische Tendenzen beziehungsweise Ausgrenzungen jeder Art rigoros entgegenwirken und begreifen, dass es so etwas wie minderwertiges Leben nicht gibt. Es liegt in unserer Hand, zu verhindern, dass sich die Geschichte erneut wiederholt.
Stellenweise musste ich echt schlucken, da dieses Buch wirklich nichts beschönigt oder umschreibt. Es wird einfach dargestellt, wie es war. Eigentlich für Unbeteiligte unvorstellbar.
"Der letzte Überlebende" ist eines der Bücher, welches dringend geschrieben werden musste, um die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes für die Nachwelt festzuhalten, zumal es sich bei Sam Pivnik um einen der allerletzten Überlebenden, um einen der letzten noch lebenden Zeitzeugen handelt.
Allmählich wird einem als Leser dabei klar, warum Pivnik so lange gebraucht hat, um seine Erinnerungen zu Papier bringen zu können. Es erscheint beinahe unvorstellbar, das jemand ein Leben nach Auschwitz überhaupt weiterleben konnte, im Wissen darüber, dass - bis auf den älteren Bruder Nathan, den Sam kurz nach Kriegsende wieder in seine Arme schließen konnte - allen Familienmitglieder beim Gang über die Rampe in Auschwitz der Weg nach links in Richtung der tödlichen Gaskammern gewiesen wurde.
„Nach rechts bedeutete Leben. Nach links bedeutete Tod im Gas. Keine Erklärungen, keine Begründungen. Nur eine lässige Bewegung eines Fingers in einem makellos sauberen Handschuh.” (S. 12)
Dieses Buch ist grausam. Sams Schilderungen zu den Selektionen, den täglichen Zählappellen, den katastrophalen Zuständen, dem Hunger und dem allgegenwärtigen Tod, sind nicht leicht zu ertragen. Aber wir lesen es ’nur‘, wir können mitleiden und schockiert sein und doch kommt es nicht im Entferntesten, an das heran, was diese Menschen ertragen mussten.
Für den schockierten Leser ist das vorliegende Buch eine harte Kost, da es einem die abscheulichen Schandtaten von Hitlers willigen Vollstreckern plastisch vor Augen führt.
„In der unnatürlichen, verrückten Welt des Völkermordes hatten die Schurken das Sagen. Die Irren leiteten die Anstalt.“ (S. 99)
„Wir gingen alle durch dieselbe Hölle, und man hätte denken können, dass uns das verband, uns eine Art Wagenburgmentalität, ein Gefühl von 'wir und die' gab, aber so war das nicht. Die Angst spaltete uns, jeder kämpfte für sich allein." (S. 115)
Selbst die Zeit nach der Befreiung ist geprägt von Sams Erfahrungen seiner Jugend. Sam Pivnik berichtet, wie er seine gesamte Teenagerzeit verloren hat. Der Krieg war beendet und er war familienlos, heimatlos ohne jegliche Perspektive, schwer traumatisiert bis an sein Lebensende. Obgleich der Albtraum ein Ende hatte, blieben die Narben, das Trauma, der Verlust. Die Orte von früher hatten ihre Seele verloren, und Sam hatte keine Vorstellung, was er überhaupt tun, wohin er sich wenden sollte. Ohne Heimat, ohne Ziel war es für Sam schwer, überhaupt wieder Fuß zu fassen.
Der Wunsch eines heimatlosen wieder eine Heimat zu finden, im gelobten Land oder sonst irgendwo auf der Welt kommt deutlich herüber. Ein ehemals kleiner Junge der alles verloren hat. Die Heimat verloren, ohne seine geliebte Familie – alle tot. Sams Kampf ging weiter in dem Befreiungskampf für einen jüdischen Staat, wobei dieser Teil nur einen ganz kleinen Platz im Buch einnimmt und eher Sams Werdegang nach dem Zweiten Weltkrieg schildert. Wo kam er her und wo ging er hin – der ehemalige KZ-Häftling mit der Nummer 135913?
Ohne den Holocaust hätte es den israelischen Staat nie gegeben. Der Schrecken dieser Zeit hat zahlreiche Menschen entwurzelt und dem zionistischen Weg tausende Vertriebene zugeführt, bereit, für einen eigenen Staat, eine neue Heimat, alles zu wagen.
„Innerhalb von sieben Tagen war die Welt, die wir kannten, verstanden und liebten, verschwunden. Ich sah die Verwirrung in den Augen meines Vaters.”
Die Erzählung darüber, wie Sam Pivniks Leben nach dem Krieg weiterging, und wie es sich anfühlte in dem von Alliierten besetzten Land zu leben, macht das Buch noch kompletter. Viele Bücher dieser Zeit enden nach der Befreiung. Sam Pivnik berichtet weiter, wie die britischen Alliierten die neuen Strukturen aufbauten, wie die Menschen in Norddeutschland mit dem Thema Krieg umgingen und vor allem was mit den Tätern nach dem Krieg geschah. Auch hier setzt erneut Sprachlosigkeit beim Lesen ein.
Ich kann seine Wut über die Vertuschungen, die milden Urteile für die Kriegsverbrecher sowie das Unverständnis gegenüber Holocaust-Leugnern nur zu gut nachvollziehen.
Im Nachkriegseuropa wollten weder die Verlierer noch die Gewinner etwas von diesen Erfahrungen wissen. Vieles wurde unter den Teppich gekehrt oder geleugnet, ein großes Interesse an der Aufklärung der Gräueltaten gab es nicht. Holocaustopfer mussten einfach weiterleben, wo und wie auch immer. Doch obwohl Sam Pivnik hier eher einen deprimierenden Abgesang präsentiert, verblüfft er zwischendurch mit dem Versuch eines Verständnisses.
„... dass viele SS-Leute tranken, vor allem an den Nachmittagen und Abenden. Kein Wunder. Nach allem, was ich erlebt habe, empfinde ich kein Mitleid mit ihnen, aber heute ist mir klar, dass sie in demselben Albtraum gefangen waren wie ich." (S. 153)
Ich finde es sehr schwer das Buch zu bewerten, da es nicht genügend Dokumente zum Holocaust geben kann und jede Geschichte erzählenswert ist. Wie soll solch ein Erfahrungsbericht bewertet werden, wie lässt sich solch eine Erfahrung einer Fünf-Sterne Bewertung unterziehen?