Rezension zu "Was Preema nicht weiß" von Sameena Jehanzeb
Ich bin auf das Buch aufmerksam geworden, weil es den Selfpublishing-Buchpreis 2020 gewonnen hat. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen, denn ich weiß, dass es im Selfpublishing-Bereich Bücher gibt, die Verlagsbüchern qualitativ in nichts nachstehen und manchmal sogar besser sind, weil sie sich außerhalb der ausgetretenen Pfade und Konventionen bewegen können. Und ich wurde nicht enttäuscht!
Zu Beginn erwacht die Protagonistin Preema in einem leeren, weißen Raum, der sich physikalischen Gesetzen zu widersetzen scheint. Ihr Gedächtnis ist wie leergefegt, sie kann sich nur noch an ihren Namen erinnern, und daran, dass die Welt mit einem lauten Getöse untergegangen ist. Das Spannende ist hier, dass ich als Leserin von Anfang an genauso viel (oder besser gesagt: so wenig) weiß wie Preema selbst. Im Laufe der Geschichte kehren ihre Erinnerungen stückchenweise zurück, von ihrer Kindheit bis kurz vor dem Weltuntergang, und sie erfährt, genau wie ich beim Lesen, was für ein Mensch sie eigentlich gewesen ist und wie ihr Leben verlaufen ist.
Nach einiger Zeit im weißen Raum wird Preema zum Glück von David gefunden, der sie auf die sogenannte Lichtung führt – einen utopischen Ort mit blühenden Wiesen und einladenden Flüssen, an dem es niemals Nacht wird und an dem alle Menschen glücklich zu sein scheinen. Hin und wieder tauchen jedoch graue, menschenähnliche Schemen auf, die die Idylle stören und einmal sogar eine Bewohnerin der Lichtung verschwinden lassen. Alle dort lebenden Menschen haben unterschiedliche Theorien über die wahre Natur dieses Ortes, aber Preema kommen alle davon zu absurd vor, und so versucht sie herauszufinden, was dort wirklich vor sich geht. Dabei wird sie immer wieder von Erinnerungen übermannt, die mit dem Fortschreiten des Romans immer mehr Raum einnehmen und sich zu einer Geschichte innerhalb der Geschichte entwickeln. Es geht um Kindheit, um Verlust und Trauer, um eine emotional komplizierte Liebesgeschichte, und trotz aller Schwermut ist an mehreren Stellen auch ein Funken Humor zu finden. Es gefällt mir auch, mit welcher Selbstverständlichkeit Preemas Bisexualität dargestellt wird – sie führt eben Beziehungen mit Männern und Frauen, ohne dass es problematisiert wird. Auch die Darstellung der Familienbeziehungen mochte ich sehr, an einer Stelle wird beispielsweise klar, dass Preema ihre Mutter liebt, sie aber ihre Erwartungen in puncto Heiraten und Kinderkriegen nicht erfüllen will. Außerdem gibt es in Preemas Leben einige Twists, die ich sehr clever und interessant fand.
Zwischen diesen Erinnerungsfetzen findet sich Preema immer wieder auf der Lichtung wieder und setzt ihre Erkundungen fort. Ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Ich liebe es, wie dieser beinahe unwirkliche Ort gestaltet ist, und wie originell die Merkwürdigkeiten sind, denen Preema dort begegnet.
Was ich auch noch positiv anmerken möchte, sind die Illustrationen: Auf der ersten Seite des ersten Kapitels sind viele winzige Scherben abgebildet, die sich um den Text verteilen und auch jeweils auf der ersten Seite jedes weiteren Kapitels wieder auftauchen, aber sich Stück für Stück mehr zusammensetzen, bis sich über dem letzten Kapitel ein vollständiges Bild ergibt. Eine tolle Visualisierung der Geschichte, in der sich Preemas Vergangenheit mit jeder Erinnerung Stück für Stück zusammensetzt.
Wie immer bei Geschichten mit einer starken Prämisse hatte ich die Befürchtung, dass das Ende schwächer ausfällt, aber das war zum Glück nicht der Fall. Ich fand es sehr rund und passend, und ich habe das Buch zugeschlagen mit dem Gefühl, gerade etwas Wundervolles gelesen zu haben.
Wenn ich etwas kritisieren müsste, wäre es, dass einige der Dialoge etwas gekünstelt klingen, aber das fällt im Gesamtbild kaum ins Gewicht.
Auf jeden Fall war es ein mitreißender, berührender und außergewöhnlicher Roman mit einem spannenden Genre-Mix.