Hier ist Sandra Gugićs Lyrikdebüt. Die in Berlin lebende österreichische Autorin kannte ich von ihrem Romandebüt „Astronauten“, das mir sehr gut gefiel. Der Gedichtband „Protokolle der Gegenwart“ kommt dezidiert unlyrisch daher. Es gibt keine Reime und auf die Sprachmelodie wurde auch kein großer Wert gelegt. Schön ist er trotzdem mit harter Gegenwartssprache von laufenden Ereignissen, wie Social Media, Rollenbilder, Krieg und Flucht. Der Band aus meinem geschätzten Verlagshaus Berlin hat drei Kapitel und hundert Texte. Gugić beobachtet unverstellt auf Randzonen mit wuchtigem Sprachmaterial, mit dem man klar kommen muss. Uneindeutigkeiten, vielfältige Identitäten die ihren Zusammenhang verloren haben, aber neue Beziehungen gewinnen. Wer sich abgeschreckt fühlt von verkopfter und analytischer Lyrik für den ist dies vielleicht nichts, aber mir hat dieser Band ausgesprochen gut gefallen und ich habe mich gefangen darin, z. B. in dem sich „eine zornige Stunde am Tag gönnen“ und „jenseits symbolischer Ordnung“.
Sandra Gugić
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Sandra Gugić
Astronauten
protokolle der gegenwart
Zorn und Stille
The In-Between | Das Dazwischen
Neue Rezensionen zu Sandra Gugić
Astronauten habe ich jetzt zweimal gelesen, so dicht und spannend sind die Netze zwischen den Figuren und ist auch die Handlung gewebt. Auch beim ersten Lesen versteht man alles finde ich, aber beim Zweiten Mal kommen die Feinheiten und Details, die dieses Buch so lebendig machen noch stärker heraus. Es gibt viel zu entdecken in diesem kunstvollen und vielschichtigen Text der ein bisschen wie das Polyptychon ist, ein Bild das die Figur MARA im ersten Teil beschreibt.
Geht es um einen Haufen Loser? Nein. Vielleicht Randexistenzen, Gescheiterte, Zweifelnde. Aber sie kämpfen! Sie sind klug und witzig, manchmal rücksichtslos, dann wieder verletzlich und zart. So sagt es die Autorin nicht nur in einem Interview, es ist auch so.
Man sollte schon Freude an Sprache haben und Sympathie für außergewöhnliche Figuren um diesen Text zu lieben, der nicht Mainstream ist, aber dafür spannend, poetisch und immer wieder überraschend.
Fette Empfehlung!
Wesentliches erstickt im Unwesentlichen.
Die Autorin Sandra Gugič widmet sich in ihrem Debüt den Loosern, isolierten Bewohnern einer Großstadt, es ist höchstwahrscheinlich Berlin gemeint. Sechs Charaktere verkörpern, in loser Interaktion verknüpft, eine bestimmte Art von Existenz. Dabei kommen Depression, Hoffnungslosigkeit und Hass, inmitten eines von vornherein aussichtslosen Kampfes mit unangemessenen wie nicht zielführenden Mitteln gegen „die Winner“ geführt, rüber. Insofern ist „Astronauten“ als gesellschaftskritischer Roman zu werten. Trotzdem bin ich mit dem Gebotenen unzufrieden.
Den Stil Sandra Gugičs, simpler Hauptsatz an simplen Hauptsatz aneinander gereiht, dh. einen Roman ohne Konjunktionen, also ohne sprachlichen Verbindungskitt zu schreiben, einen solchen Stil darf man nur dann dem Leser zumuten, wenn er erkennbar einem höheren Zweck dient. Es ist der gleiche Stil, der in David Foenkinos „Charlotte“ so wunderbar funktioniert hat, weil David Foenkinos in jedem Satz Ungeheuerliches aufscheinen lässt. Doch bei Sandra Gugič bringt mich dieser Stil zum Gähnen, beinahe zum Abbruch der Lektüre. Hat nicht Hemingway vorgemacht wie man das Wesentliche vom Unwesentlichen trennt und eine hochkonzentrierte Romanvorlage auf den Weg bringt, die den Leser vor Atemlosigkeit nach Luft schnappen lässt?
In Gugič Sätzen dagegen tummeln sich nervtötende Belanglosigkeiten, detaillierteste Nebensächlichkeiten, geisttötender Alltag, Langeweile pur. Zwar gelingt es ihr damit, die Ödigkeit und Ausweglosigkeit ihrer Figuren darzustellen, aber trotzdem ist der Leser schnell frustriert. Alle sechs Charaktere performen ihre Geschichte mehr, jeweils in der Ich-Form vorgestellt, als sie zu erzählen. Dabei ist es der Autorin leider nicht gelungen, beträchtliche narrative Unterschiede zwischen den Figuren herauszuarbeiten. Überdies ist der Bezug zum Titel minimalistisch.
Trotz exzellenter Beobachtungsgabe der Autorin und einigen ungewöhnlichen Einzelheiten habe ich an diesem Erstling stilistisch jede Menge auszusetzen, dieser Roman liest sich arg holperig, wird von Details erstickt und was die Protagonisten tun oder lassen interessiert mich bald nicht mehr.
Fazit: Obwohl mir dieses Debüt weder stilistisch noch thematisch zusagte, möchte ich die Autorin im Auge behalten. Da geht noch was! Eventuell sogar steil nach oben! Kommt ganz drauf an.
Kategorie: Moderne Literatur
Verlag: C.H. Beck, 2015