"Ich schreibe keine Lyrik / Ich sage nur die Wahrheit." (S. 23)
- Mit Status-Meldungen wie dieser erlangt der syrische Metallarbeiter Aboud Saeed, der sich selbst "der klügste Mensch auf Facebook" nennt, eine gewisse virale Berühmtheit. Er wird von einem deutschen Verlag entdeckt, der ein Buch mit seinen Internet-Einträgen veröffentlicht und darf schließlich nach Deutschland ausreisen. Dort ist er ein Flüchtling, ein "Refjudschie", und plötzlich nicht mehr nur ein Arbeiter, sondern ein Autor, der auf Festivals sprechen darf, wobei ihm diese Rolle nicht immer behagt. Denn er hat keinerlei Anspruch, eine bestimmte Einstellung, eine wichtige Message oder eine politische Meinung kundzutun, sondern erzählt mehr oder weniger einfach, was ihm gerade durch den Kopf geht.
"Hiermit schlage ich Facebook vor, seine Frage "Woran denkst du gerade?" zu ändern (...) "Woran wir gerade denken", oh Facebook, du Idiot, schreibt man auf und verscharrt es dann unter der Erde." (S. 27)
Oder was er erlebt:
"Ich habe es schon einmal gesagt: Auf Flughäfen bin ich solange verdächtig, bis ich das Gegenteil beweise..." (S. 201)
Seine Einträge reichen von einem einzigen Satz bis zu mehrseitigen Storys, von Manbidsch bis Berlin, von banalem Alltagskram bis hin zu scharf beobachteten, hintergründigen Einsichten, von jugendlich-testosterongeschwängerten Bekundungen bis hin zu knallharter Kriegsrealität:
"Während ich gerade in Berlin auf einer Ausstellung mit zerfetzten Fotos war / ist in der Nähe meines Elternhauses eine Autobombe hochgegangen." (S. 103)
Vieles erzählt er mit einem Augenzwinkern oder mit tiefgründiger Ironie, er ist ein Schelm, der gerne seine Mitmenschen veräppelt, der sich selbst nicht zu schade ist, von seinen Misserfolgen und Fettnäpfchen zu erzählen, der das Weltgeschehen politisch völlig unkorrekt kommentiert und dabei sogar riskiert, die Hand abzuhacken, die ihn füttert:
"... Der ganze Wein, den ich in diesen Theatern gesoffen habe, kostet zusammengerechnet wahrscheinlich sowas wie die Versorgung des weltweit größten Flüchtlingslagers. Drei Jahre habe ich mit meinen intellektuellen Freunden verbracht, die an ihren Prinzipien fast ersticken. Denn das erste, was ein Intellektueller sich zulegt, sobald er in diese Welt hinausläuft, sind Prinzipien. (...) Er hat ein Prinzip im Hals, ein Prinzip im Arsch und eines zwischen den Beinen..." (S. 173 ff)
Nicht jede seiner zwischen 2012 und 2021 veröffentlichten Statusmeldung hat mich gleich gepackt, manches war mir dann doch zu albern, zu derbe, zu geschwätzig. Das meiste jedoch hat mich zum Lachen und zum Nachdenken gleichzeitig gebracht, zeigt es doch wieder einmal, dass ein Mensch in noch so viele Schubladen gesteckt werden kann, und dabei doch eben einfach nur "Mensch" bleibt.
(Darüber hinaus hilft mir diese zweisprachgie Ausgabe unheimlich, auf unterhaltsame Weise meine Arabisch-Skills zu trainieren!)