Rezension zu "Fünf Jahre danach" von Sandra Wöhe
Diese Ijana! Kann sie Beate denn nicht einfach in Ruhe lassen? Das sollten doch Ferien werden! "Komm", hatte Ijana gesagt, "komm nach Italien. Besuch uns, Robi und mich. Ausspannen. Dolce far niente in der Nachsaison. Da wird superschön." Aber hat sich was mit superschön. Hat sich was mit Dolce far niente. Hat sich was mit Ausspannen. Kann Ijana sie nicht einfach in Ruhe lassen? Kann sie nicht. "Schreib das Buch", sagt sie. "Für mich. Du bist doch Autorin."
Autorin? War ich, sagt sich Beate. Aber was bin ich jetzt? Ich kann längst nicht mehr. Und ausgerechnet Ijana verlangt es von mir. Dabei weiß sie doch Bescheid. Gut, bei ihr ist es erst zwei Jahre her. Bei mir ist es "Fünf Jahre danach". Ich gelte als gesund. Und nun? Leben wie zuvor? Wie könnte das denn gehen? Krebs ist eine Lektion, die nicht entlernt werden kann. Und jetzt soll ich noch einmal durch diese Hölle? Freiwillig? Mich erinnern, an all das, was ich auch vergessen habe?
Ijana lässt nicht locker. Hin und her geht die Auseinandersetzung. Die beiden kämpfen mit Worten, mit Argumenten, mit Fakten und Gefühlen. Das alles findet vor idyllischer Kulisse statt. Ein Café, irgendwo in Venetien, Antipasti, Brot und Olivenöl auf dem Tisch, gegenüber vor der Kirche plätschert ein Brunnen, Mopeds knattern, wie papageienbunte Zugvögel schwärmt eine Schar Fahrradtouristen über die Piazza. Trotzdem bleiben Ijana und Beate unerbittlich.
Bis zum Schluss bleibt offen, ob das Buch geschrieben werden wird - und ob die vier Freundschaften in diesem Roman den Nachmittag überstehen können, ist lange Zeit ebenfalls fraglich.
Wer hätte gedacht, dass ich jemals freiwillig einen Roman über Krebs lesen würde? Es ist und bleibt ein Tabuthema - und es kennt keine Nichtbetroffenen. Wen es nicht selbst erwischt, hat jemand in der Familie, im Freundes- oder Bekanntenkreis, ist beruflich involviert oder darf als Teil der Gesellschaft sehen, dass Gesundheit eben nicht der Normalzustand ist, sondern ein Geschenk, mit der es auch bei achtsamsten Leben von heute auf heute Nachmittag vorbei sein kann.
"Fünf Jahre danach" ist kein leichtes Buch. Aber es liest sich leicht. Der Autorin Sandra Wöhe gelingt es, das schwierige Thema so zu verpacken, dass die Oberfläche der Geschichte durchsichtig wird und der Blick tief hinab gehen kann - ohne dass der Lesegenuss unnötig schwer wird. Die Atmosphäre ist aufgeladen statt überfrachtet, die Figuren sind plausibel und dermaßen plastisch, dass ich mich dabei erwische, etwas von dem lesen zu wollen, was diese Beate Berthold so geschrieben hat.
Ihre Fähigkeit, die Waage zwischen Leichte und Schwere auszuhebeln und beides als das Entscheidende zu gewichten, hat Sandra Wöhe bereits in ihrem Familienroman "Die indonesischen Schwestern", ebenfalls aus dem konkursbuchverlag Claudia Gehrke, bewiesen. Das Buch fragte nach Integration, Assimilation und Identität. Nun also Krebs. Und wieder ein Unterhaltungsroman. Frau Wöhe, Sie legen die Latte gewaltig hoch. Ist das der wahre Grund, warum Beate so zögert?