Cover des Buches Fluchtwege (ISBN: 9783608980356)
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Rezension zu Fluchtwege von Sandro Veronesi

Bequemlichkeit

von Gwhynwhyfar vor 7 Jahren

Rezension

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Gwhynwhyfarvor 7 Jahren
»Ich habe die falschen Fehler gemacht«

Der Tag hatte gut begonnen, das Leben im Allgemeinen lief gut, erzählt uns der Icherzähler. Der Witwer Pietro Paladini ist zufrieden, er wohnt in Rom, sein Autohandel »Super Car« bringt ihm ein gutes Einkommen, seine Tochter geht auf das Gymnasium und Pietro hat eine reizende Geliebte. Sie und ihre Kinder muss er zwar unterstützen, denn ihr drogensüchtiger Exmann macht häufig Ärger, aber das ist für ihn kein Prob-lem. Doch ganz schnell bricht die Welt an einem Tag zusammen. Die Kundin, bei der er ein Auto beschlagnahmen muss, flieht mit dem Audi Q3. Pietro verdient sein Geld unter anderem damit, Autos per Gerichtsbeschluss einzuziehen, deren Leasingraten unbezahlt bleiben und er kann die Wagen für die Bank verkaufen. Er verliert dabei sein Handy, auf dem er alle Nummern, Kontakte und wichtige Passworte gespeichert hat, wie das für den Safe, sein Führerschein wird bei der Verfolgungsjagd eingezogen, das Finanzamt beschlagnahmt alle Akten und die PC’s im Büro, seine Tochter läuft von zu Hause weg, die Freundin wird wieder vom Ex bedroht und flüchtet. Der Geschäftspartner liegt nicht im Krankenhaus, wie er behauptet hatte. Er hinterlässt Pietro eine Nachricht, dass ihm alles leidtue, Pietro habe unwissentlich geklaute Autos verkauft und er solle sich auch lieber aus dem Staub machen.

»Wer soll mich schon finden, wo ich doch beschlossen habe, nicht da zu sein? Wer wird mich verurteilen können für das, was ich bin, wenn niemand weiß, was ich bin?«

Pietro überlegt, was er machen soll. Soll er sich der Polizei stellen? Er wusste doch von nichts. Doch der Justiz vertraut er nicht, wir befinden uns in Italien. Wer kann helfen? Pietro muss sich der Vergangenheit stellen. Wir begleiten ihn nach Mailand, seinem alten Zuhause. Dort wohnt die Schwester, bei der die Tochter nun wohnt. Wir begegnen in Luzern der Witwe seines Vaters, seinem Bruder, der auch auf der Flucht ist, wie einst der Vater. Die ganze Familie scheint auf der Flucht zu sein, aus verschiedensten Gründen. »Sei ehrlich zu dir selbst«, etwas, das Pietro schwerfällt. Auf der Suche nach sich selbst löst er Stück für Stück seine Probleme.

Sprachlich dicht mit viel Humor, nah an der italienischen Seele, ein wundervolles Buch, eigentlich. Am Ende läuft mir die Geschichte zu glatt, zu einfach. Es wirkt, als wenn Sanoro Veronesi am Ende selbst nicht wusste, wohin das Chaos führt, was er damit bezwecken wollte. Aber vielleicht ist gerade dieser banale Schluss italienisch. Lügner, Langfinger, Halunken, falsche Freunde, Menschen die unschuldig mitgerissen werden, Moral gibt es schon lange nicht mehr. Das alles ist Italien. Abducken, fliehen, sehen was passiert, was man aushandeln kann, auch Kriminelle können Freunde sein, wirkliche Freunde und letztendlich ist die Familie alles.

»Ich bin niedergeschmettert. Ich habe noch nie jemandem so aufmerksam zugehört und bemerke, dass zuhören viel anstrengender ist als reden. Doch wie ich mich jetzt fühle, zählt nicht. Zählt nicht mehr.«

Wer Bandwurmsätze mit abweichenden Nebensätzen nicht mag, der sollte die Finger von dem Buch lassen. Die Sätze kommen zielstrebig immer zum Punkt zurück, brin-gen dem Leser in Gedankensprüngen die Protagonisten näher, Bruchstücke, Erinnerungen, Beschreibungen. Mit viel Humor berichtet Pietro aus seinem Leben. Sprach-lich ist dies Buch für mich bemerkenswert. Stück für Stück erfährt man von Pietro, dass gar nicht alles in Ordnung ist in seinem Leben, nur kuschlig zugedeckt, gut ver-packt. Der Leser fühlt sich wie ein Beichtvater, geduldig zuhören, nicht verurteilen und auch keinen Rat erteilen, denn wer sind wir schon, ein Urteil fällen zu dürfen.
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