Der Weg war lang, und wenn jede Nacht den Maulwurf in Momente seiner Vergangenheit entführte, hatte der Fuchs Angst, ihn nicht immer in die Wirklichkeit zurückholen zu können … Aber solange er nicht genau wusste, ob das eintreten würde, hieß es weitergehen! (S. 63)
An Archibald Fuchs: Sehr geehrter Herr Fuchs, ich kam nicht umhin, Ihren Umgang mit Herrn Ferdinand Maulwurf und dessen Krankheit zu bewundern. Wie Sie sich dazu bereiterklärten, ihn auf seiner Reise in die Vergangenheit zu begleiten, hartnäckig nach dem immer nächsten unbekannten Ziel suchten und die Suche selbst dann nicht aufgaben, als Ihr Freund Ferdinand den Grund der Suche erneut vergessen hatte. Sie sind ihm ein wahrer Freund, der ihm auch in schweren Stunden zur Seite steht und ihn die Sicherheit spüren lässt, auch dann nicht allein zu sein, wenn er sich seiner Freunde und Familie nicht erinnern kann. Tief in seinem Herzen weiß er, dass da jemand ist, der um ihn weiß, der für ihn da ist, der sein Freund ist. Seien Sie an Ferdinands Seite und unterstützen ihn in einer Zeit, die für ihn so ungewiss wie beängstigend ist. Seien Sie sein Freund, seien Sie seine Erinnerungen, doch denken Sie dabei auch immer an sich selbst. Ihre Buchhandlung von Schönrinde ist Zufluchtsort einmaliger Geschichten, festgehalten in wunderschön gebundenen Büchern, die auf den für sie bestimmten Leser warten. Sie haben die Macht zu verzaubern, die Leser in ihren Bann zu ziehen und manchmal können sie auch Licht in ungeklärte Fragen zur eigenen Vergangenheit bringen.
An Ferdinand Maulwurf: Lieber Ferdinand, Sie kennen mich nicht und doch durfte ich Sie auf Ihrer Reise zu den Ursprüngen einer Ihrer wichtigsten Erinnerungen begleiten. Ich durfte mit Ihnen einzelne Stationen Ihres Lebens (wieder)entdecken und schlussendlich auch erfahren, was mit Ihrer großen und einzigen Liebe Mathilde geschehen ist. Ein Geheimnis, dass Sie Jahr um Jahr, Sekunde um Sekunde hüteten. Ein Schmerz, den Sie anderen ersparen wollten und dafür ein ganzes Leben schrieben. Eine Suche, die Sie niemals freiwillig aufgaben. Lieber Ferdinand, die Alles-Vergessen-Krankheit ist gnadenlos. Sie raubt Ihnen eine Erinnerung nach der nächsten und hält sich dabei an keinerlei Spielregeln. Gerne würde ich Sie aufmuntern, Ihnen sagen, dass das schon alles wird und Sie auch im Verlust Ihrer Erinnerungen Ihren Weg gehen werden und die, die Ihnen wichtig sind, auf immer in Ihrem Herzen tragen werden. Doch was nützt es, wenn Sie sich nicht erinnern? Die Alles-Vergessen-Krankheit ist grauenvoll, ich möchte mich am liebsten stellvertretend für Sie und auch aus Mitleid in einer Ecke zusammenrollen und einfach nur noch weinen...doch dann denke ich an die Momente, in denen Sie selbst über Ihre Krankheit sprachen, wie tapfer Sie die Zeit des Vergessens meistern und wie dankbar Sie für jede noch so kleine Erinnerung sind. Lieber Ferdinand, ich wünsche Ihnen, dass Sie sich diese Stärke behalten, ebenso den Mut, sich auch schon vergessener Erinnerungen zu erinnern. Ich wünsche Ihnen nur das Beste sowie von Herzen kommende Unterstützung Ihrer Freunde und Familie in einer Zeit, in der Sie sich ihrer vielleicht nicht entsinnen, doch sei Ihnen versichert: Ihre Freunde und Ihre Familie erinnern sich an Sie, an Ihre Vergangenheit und Gegenwart: sie sind Ihre Erinnerungen.
An Charlotte Maus: Ich bewundere Ihren Mut, Herrn Fuchsens Buchhandlung im Zeitraum seiner Abwesenheit zu übernehmen, sich Ihren langgehegten Traum somit zunächst zeitbegrenzt zu erfüllen. Größere Bewunderung spreche ich jedoch Ihrer Stärke aus, zu erkennen, das Buchhändlerin doch nicht auf Dauer Ihr Beruf sein wird. Träume zu haben, ist unendlich wertvoll, die eigenen Träume Wirklichkeit werden zu lassen, ist ein Geschenk, einen Traum aufgeben zu können, erfordert ungeheuren Mut. Sie können stolz auf sich sein!
An Windfried Meise: Bleiben Sie Ferdinand der Freund, der Sie immer waren und bewahren Sie Ihre Erinnerungen an Mathilde Maulwurf in Ihrem Herzen. Sie hat Ihnen einen offensichtlichen wie wichtigen Ratschlag gegeben, doch sind wir manchmal einfach nicht in der Lage, das Offensichtliche zu sehen, manchmal benötigt es einen guten Freund, der uns die Augen öffnet und uns dabei hilft, wir selbst zu sein und unseren eigenen Weg voller Stolz zu gehen.
An Elisabeth Huhn: Sehr geehrte Frau Huhn, Ihr Schlupfwinkel der Schreibfedern hat mich tief beeindruckt. Wie gerne wüsste ich um solch eine Einrichtung, sie erscheint mir grundlegend wichtig und verbindend. Ein Ort, an dem man zusammenkommt und auf Lebewesen trifft, die die gleichen Interessen teilen, zuhören und nicht verurteilen. Sie haben einen Ort geschaffen, an den man sich zurückziehen möchte, der Wärme und Unterstützung verspricht, Freundschaften fürs Leben und Erkenntnisse, die vielleicht nur an solch einem einmaligen, wunderschönen und von Liebe und Verständnis durchdrungenen Ort das Licht der Welt erblicken können. Lassen Sie sich niemals von diesem Ihrem Traum abbringen und führen Sie auch weiterhin den Schlupfwinkel der Schreibfedern mit so viel Liebe und Offenheit, wie uns während unseres kurzen Besuchs mit Ferdinand und Herrn Fuchs entgegengebracht wurde. In Herrn Edgar Schwan, diesen Gedanken lassen Sie neuerdings ja auch ganz unverholen zu, haben Sie dabei einen lebenslangen, geduldigen und in seinen Gefühlen ehrlichen Unterstützer Ihres Traumes gefunden. Ich kenne ihn nicht nahe genug, um eine verlässliche Aussage treffen zu können, doch scheint mir, Sie sollten ihn nicht wieder gehen lassen...
An Edgar Schwan: Sehr geehrter Herr Schwan, ich kenne Sie nicht, bin Ihnen nur einige wenige Male im Schlupfwinkel der Schreibfedern begegnet, doch bewundere ich Ihre Ausdauer und Ihre, so scheint mir, wahre Liebe und Zuneigung zu Frau Elisabeth Huhn. Ich freute mich von Herzen zu hören, dass Frau Huhn sich Ihnen gegenüber geöffnet hat, Ihre wie auch wohl ihre eigenen Gefühle nicht länger zurückweist und unterdrückt. Ihre Hartnäckigkeit und Ihr Einfühlungsvermögen wurden schlussendlich belohnt. Ich wünsche Ihnen alles Gute dieser Welt und ein langes, glückliches Leben mit der Dame Ihres Herzens - Sie haben es mehr als verdient!
An Rotbert Dachs: Lieber Rotbert, Ihre Geschichte hat mich zu Tränen gerührt. Sie sind ein sehr starkes Lebewesen, auch wenn Ihnen das vielleicht nicht immer in Ihrem Leben klar vor Augen geführt wurde. Das Gefühl des Nichtdazugehörens ist, so vermute ich, den wenigsten fremd, doch kommt dieses Gefühl bei jedem von uns aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Es wäre somit vermessen zu sagen, dass ich Sie verstehe und doch tue ich es in Teilen dessen, was Sie uns allen in der freitagabendlichen Literaturnacht eröffnet haben. Sie haben Ihren Weg gefunden und den in Ihnen schlummernden Mut entdeckt, zu Ihnen, Ihrer Vergangenheit und zu Ihrer Gegenwart zu stehen. Sie verstecken sich nicht länger aufgrund Aussagen und Meinungen von außen, sondern sind nun der, der Sie sind und der Sie sein wollen. Sie haben Ihre Verkleidung abgelegt, zeigen der Welt nun, wer Sie wirklich sind und schon immer waren. Die Welt kann grausam sein, doch gibt es Lebewesen wie Sie, die dennoch zu sich selbst finden, die fremdauferlegte Maske ablegen und zu sich selbst stehen können. Sie sind ein Vorbild für so viele, lieber Rotbert, der Sie niemals aufgegeben haben, Ihre Herkunft zu suchen und Ihre Vergangenheit zu verstehen. Unsere Vergangenheit macht uns zu dem, was wir in der Gegenwart sind und ebnet die Wege, die wir in der Zukunft vielleicht einmal gehen möchten. Unsere Vergangenheit ist zwar vergangen, doch ist ihr Einfluss auf Gegenwart und Zukunft nicht zu leugnen. Daher ist es umso wichtiger, sie nicht völlig unverstanden verstreichen zu lassen, kann sie uns doch über so vieles Aufschluss geben, was durchaus auch Wichtiges in unserem Leben ist. Bleiben Sie der, der Sie sind, stehen Sie Ihrem Vater auf dessen schweren Weg bei und lernen Sie mit der Zeit mehr über Ihre Herkunft und Ihre biologische Familie. Sie sind ein mutiges Lebewesen, dass etwas geschafft hat, was sich anderen Zeit ihres Lebens aus den unterschiedlichsten Gründen verschließt: Sie haben zu sich selbst gefunden und gehen Ihren ganz eigenen Weg. Ihre Familie kann stolz auf Sie sein.
An Mathilde und Violette: Mathilde, es freute mich, Sie durch die Erinnerungen Ihrer Freunde, Bekannten, Weggefährten und Familie kennenlernen zu dürfen. Sie waren eine von Herzen freundliche und ehrliche Maulwurfdame, die das Leben so vieler Lebewesen aufgrund Ihrer Wahrhaftigkeit und Ihres Einfühlungsvermögens entscheidend geprägt hat. Ihr Leben endete auf so tragische Weise und gibt einmal mehr eine radikale Antwort auf die Frage: "Was ist man bereit zu tun, um die, die man liebt, zu schützen?" Eine Frage und unendlich viele Antworten, die einem selbst doch niemals vor Augen führen können, was man ganz persönlich bereit wäre, zu tun, um die, die man liebt, zu schützen. Liebe Mathilde, Sie leben im Herzen derer weiter, die sie immer geliebt haben und können noch nicht einmal durch die Alles-Vergessen-Krankheit vergessen werden; dies hat Ihre große Liebe Ferdinand eindrucksvoll bewiesen. Violette, Jahr um Jahr lebten Sie mit einer Lüge, ohne deren Existenz auch nur zu erahnen. Wie freuten Sie sich über jeden Brief von Ihrer geliebten Schwester Mathilde und doch spürten Sie seit einiger Zeit, dass etwas nicht stimmen konnte. Dass dies jedoch viel weiter in die Vergangenheit reicht, als Sie vermuteten, konnten Sie beim besten Willen nicht wissen. Ferdinand enthielt Ihnen den tragischen Tod Ihrer Schwester vor und wollte Sie damit doch nur schützen. Er schrieb Ihnen in Mathildes Namen Brief um Brief und wäre er nicht an der Alles-Vergessen-Krankheit erkrankt, wer weiß, ob er jemals den Mut aufgebracht hätte, Ihnen die ganze Wahrheit zu berichten. Bestimmt tat er das alles aus reinem Herzen, doch vergaß er dabei, dass kein Lebewesen die Last der Trauer und des Verlustes alleine tragen kann und muss. Es freut mich aus tiefstem Herzen, dass Sie die Wahrheit über das Leben und den viel zu frühen Tod Ihrer Schwester erfahren durften und nun die Möglichkeit haben, sich mit der Vergangenheit neu auseinanderzusetzen. Bewahren Sie die Erinnerungen an Ihre Schwester und geben diese an den Rest Ihrer nun um ein Mitglied reicheren Familie weiter. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute.
Wohin war sie gegangen? Der alte Maulwurf hatte sich nun wieder aufgerappelt und ging langsam auf die Tür zu, durch die Mathilde verschwunden war. Jeder Schritt bedeutete einen Schmerz, den Ferdinand aus Liebe erduldete, und dieser Schmerz machte ihn ein wenig froh, weil er der Beweis dafür war, dass Ferdinand noch lebte und die Kraft hatte zu lieben. (S. 137)