Eigentlich sollte es unvorstellbar sein und doch ist es noch gar nicht so lange her, dass inmitten Europas, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, ein Krieg ausbrach.
1991 beginnt inmitten des Balkans eine ganze Serie an Kriegen und genau mit diesem Jahr beginnt auch das Buch und die Geschichte der gerade einmal 10jährigen Ana.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert und springt in diesen von der Vergangenheit in die Gegenwart und wieder zurück, ist aber immer übersichtlich. Die Schilderungen zu den Kriegshandlungen sind verhalten, es liest sich eher zwischen den Zeilen was geschah und geschieht. Somit finden sich, trotz all der stattgefundenen Grausamkeiten, keine unnötigen gewaltverherrlichende Situationen im Buch wieder.
„Das Echo der Bäume“ ist eher ein leises Buch mit einem flüssigen und gut zu lesenden Stil, dessen Inhalt aber definitiv unter die Haut geht. Durch den Bezug auf den Balkan-Krieg zähle ich es auch zu den Büchern, deren Geschichten nicht vergessen werden dürfen. Dieser Krieg ist quasi um die Ecke geschehen und ich kann mich noch sehr gut erinnern, an die TV-Berichte, die Reportagen und Berichte.
Teil I des Buches „Sie fielen beide“
Ana, die gerne mit Jungs Fahrrad fährt und Fußball spielt, erzählt aus ihrer Sicht und aus ihrem Leben. Der Vater gutherzig und liebevoll. Die Mutter fürsorglich und immer vorausschauend. Die kleine Schwester Rahela, ein Baby noch, ist schwer krank. Alle zusammen leben sie in einem Mehrparteienhaus in Zagreb. Die Wohnung ist klein aber gemütlich und auch wenn Ana nicht mal ein eigenes Bett hat, ist es doch ungemein wichtig dass der Vater ihr Abends etwas vorliest oder singt, wenn sie sich auf dem Sofa zur Nachtruhe begibt.
Ana ist eine gute Schülerin, höflich, zuvorkommend und neugierig auf das Leben – und dann kommt der Krieg in ihr Leben. Schleichend scheint er noch in der Ferne zu sein und doch bestimmt er das tägliche Leben. Alles ist knapp, die Lebensmittel, das Wasser, Medikamente. Dafür gibt es immer mehr an Nachrichten und Informationen, live und in Farbe aus dem heimischen TV-Gerät. Ein Krieg zum Miterleben, für diejenigen die nicht in diesem Land leben. Anas Schilderungen sind trotz oder gerade wegen der kindlichen Unwissenheit sehr bedrückend. Die heulenden Sirenen und die Aufenthalte im Luftschutzbunker, die Barrikaden und Soldaten. Scheinbare Spielplätze für die Kinder, die sich noch ihres Kindseins bewusst sind. Dennoch spürt und erlebt man diese Furcht, die immer mehr zunimmt, auch in den Handlungen der Erwachsenen. So kommt es zu einer Situation, die Anas Leben auf eine solch grausame und erschütternde Weise ändert, wie es keinem Menschen widerfahren sollte.
In Kroatien hatte der Krieg einen Kontrollverlust bedeutet, er hatte jeden Gedanken, jedes Handeln, ja sogar den Schlaf beherrscht.
(S. 116)
Teil II des Buches „Schlafwandlerin“
Ein Jahrzehnt ist vergangen und man findet sich mit Ana in New York wieder. Wie sie dort hin gekommen ist erfährt man wieder durch ihre Worte und Schilderungen. Eine junge Frau mittlerweile, die sich in dieser großen Stadt hilflos vorkommt, da sie ihrer Wurzeln komplett entrissen wurde. Zwar ist ihre Schwester hier an ihrer Seite und doch ist Ana furchtbar alleine.
Was sich immer mehr herauslesen lässt, ist diese Qual des nicht vergessen können. Das Wissen um die Zeit während des Krieges, alles was sich in ihr Gedächtnis eingeprägt hat und wie groß ihr Verlust ist. Schmerzliche Erinnerungen, Tagträume, die einen Alptraum offenbaren und zeigen, dass alles was erlebt wurde in irgendeiner Form hängen bleibt. Doch Ana schweigt über all dies, bleibt still und leise, obwohl in ihrem Kopf alles schreit.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie zurück möchte in ihre Heimat. Vielleicht um etwas zu finden, das sie verloren hat oder das zu begraben, was sie nicht mehr loswird.
Bildquelle btb (Random House)Je mehr ich log, desto besser passte ich mich an.
(S. 142)
Teil III des Buches „Geheimhaus“
In diesem Teil springt Ana wieder zurück in die Zeit der 10jährigen. Es ist die Fortsetzung des 1. Teils. Viel möchte ich hierzu gar nicht erzählen, da es unweigerlich zu einem Spoiler führen würde.
In diesem Teil wird der Krieg dargestellt. Es zeigt das Leben derer die sich verschanzt haben, die Widerstand leisten und tagtäglich um ihr Leben kämpfen. Mittendrinnen Kinder, eines davon Ana.
Dieser Teil gibt auch Auskunft darüber wie Ana aus dem Land gelangte, wer ihr half und wie sie zu ihrer kleinen Schwester fand.
Es sind sehr eindringliche Schilderungen, die mir durch den Stil der Autorin sehr unter die Haut gingen. Der Krieg an sich ist ein fester Bestandteil und auch wenn alles wieder aus dieser kindlichen Sicht geschildert wird, merkt man immer mehr wie sehr all diese Erlebnisse prägen. Wenn aus einem Gehen plötzlich ein unkontrolliertes Laufen wird, um den Minen auszuweichen oder die Funktion eines Maschinengewehrs zur Routine wird, stellt sich mir die Frage, wie all das wieder aus den Köpfen derer, die genau dies erlebt haben, wieder verschwinden kann.
Hier hat die Autorin mittels Ana gezeigt, dass es eben nicht verschwindet, niemals. Es bleibt, der Krieg und all die Erlebnisse fressen sich fest.
Teil IV des Buches „Das Echo der Bäume“
Der deutsche Titel des Buches findet sich in diesem Abschnitt wieder.
Es ist der Abschluss und gleichzeitig ein Neuanfang.
Ana, die sich zurück nach Kroatien begibt, einen alten guten Freund wieder trifft und die Orte ihrer Kindheit aufsucht. Es ist ein Versuch zu verarbeiten und wieder lässt sich herauslesen, dass manche Dinge einfach nicht verarbeitet werden können. Heimat, die eine war und vielleicht noch immer ist.
Es ist dieses Echo, das nie verhallt und sei es noch so leise, es bleibt. Wie die Bäume, die damals schon standen, deren Wurzeln all das Blut der Ermordeten aufsogen und noch immer stehen und alles gesehen und gehört haben.
Wir sinnierten gemeinsam über die Frage, wie lange es wohl dauern würde, bis der Krieg in Vergessenheit geraten würde.
(S. 302
Rezension verfasst von © Kerstin
★★★★★