Cover des Buches Narben auf meiner Haut (ISBN: 9783936428186)
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Rezension zu Narben auf meiner Haut von Sara Sierra Jaramillo

Rezension zu "Narben auf meiner Haut" von Hartwig Weber

von aichlinn vor 16 Jahren

Rezension

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aichlinnvor 16 Jahren
„Man darf nur auf der Straße wandeln und Augen haben, man sieht die unnachahmlichsten Bilder.“ Goethe gewann diese Erkenntnis auf seiner Italienreise. Der Heidelberger Professor Hartwig Weber und die Direktorin Sor Sara Sierra Jaramillo wandelten auf den Straßen Medellins (Kolumbien), um Kinder zu finden, die bereit sind, mit einem Fotoapparat ausgestattet das Leben auf der Straße - ihre Narben - zu dokumentieren. Erstaunlich, dass die Kinder nicht mit der Kamera davonliefen, um sie an der nächsten Ecke zu verkaufen. Brot, Zigaretten, Marihuana sind teuer und das Geld liegt eben nicht auf der Straße. Die Kinder schienen aber begeistert von dem Gedanken, Fotos von sich und ihrem Alltag machen zu können und sie später sogar in den eigenen Händen zu halten. Im Mittelpunkt der Fotos stehen meist die Kinder selbst. Sie wollen kein Mitleid erwecken, vielmehr sollen die Bilder eine scheinbare Normalität darstellen, die für uns freilich schwer nachzuvollziehen ist, lesen wir doch, das der Alltag von Kleinkriminalität und Kinderprostitution geprägt ist. Besonders gefürchtet sind die „Todesschwadronen“, die mit ihrer „sozialen Säuberung“ vor Niemandem Halt machen. Guerillas und Paramilitärs wachen überall. Wer ihnen im Weg ist, wird umgebracht. Straßenkinder gelten als Abschaum, den man nicht dulden will. Messerstechereien stehen auf der Tagesordnung. Die Narben existieren also nicht nur psychisch, sondern „zieren“ die Körper der meisten Straßenkinder. Juan Carlos (13) zum Beispiel droht zu erblinden. Die Folge eines Schusses, der seine Nase durchbohrte und den Sehnerv verletzte. Jorge (10) hat Narben am Hals und an den Armen. Seine Mutter schlug ihn, weil er sein verdientes Geld nicht mit nach Hause brachte, sondern für Drogen ausgab. Die Narben verhindern das Vergessen. Aber man sieht nicht, wie tief sie sind. Die eindrucksvollen Fotos, ergänzt durch bedrückende Berichte, wurden in Buchform veröffenlicht. „Narben auf meiner Haut - Straßenkinder fotografieren sich selbst“ ist 2003 bei der Büchergilde Gutenberg und in diesem Jahr auch als Taschenbuch im Don Bosco Verlag erschienen. Dem Ganzen liegt das Projekt „patio 13 - Schule für Straßenkinder“ zu Grunde, das die Lebenssituationen der Straßen- und Flüchtlingskinder untersuchen und eine Integration ins Schulsystem vorantreiben soll. Auch die Lehrer brauchen Hilfe. Oft sind sie ratlos, wenn auf einmal Straßenkinder vor der Klassentür stehen. Brücken zu bauen ist wichtig. Keine Brücken, unter denen die Kinder schlafen, sondern die sie überqueren sollen. Auf der anderen Seite wartet vielleicht eine bessere oder überhaupt erst eine Zukunft. Auch wenn die Kinder im Heute leben, so träumen sie doch von Schulabschluss, Job und Familie. Jeder kann an diesen Brücken mitbauen. Wie? Durch Hinsehen und Hinhören, das ist das Fundament. Medellin ist nicht so weit weg, wie die meisten glauben. Wer wegsieht oder gar seine Augen schließt, trägt dazu bei, dass die Fotos unzähliger anderer betroffener Kinder niemals entwickelt werden können.
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