In Tel Aviv ist ein Serienkiller am Werk. Er tötet kinderlose Frauen und hinterlässt die Leichen als bizarre „Mutterfigur“. Sheila kennt alle bisherigen Opfer. Damit scheint sie verdächtig oder könnte der nächste Name auf einer Todesliste sein.
Angesichts des Klappentextes habe ich einen klassischen Thriller erwartet. Ich wurde von diesem Buch sehr überrascht, andere Leser und Leserinnen mit ähnlicher Erwartung könnten sogar enttäuscht werden. Denn statt einer spannenden Jagd auf einen Serienmörder, bietet die Autorin einen feministischen Roman, der einige Fragen der Rolle der Frau betrachtet. Aber einen Killer gibt es selbstverständlich auch.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Sheila Heller. Sie ist Bibelwissenschafterin in Tel Aviv. Ihr Leben wird durch die Morde an den kinderlosen Frauen regelrecht erschüttert. Der Mord an einer ehemaligen Studienkollegin, die einst Teil von Sheilas engsten Freundeskreis war, zwingt sie dazu, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie betrachtet ihre eigene Lebensweise und beschäftigt sich mit den Erwartungen, die an Frauen in der Gesellschaft gestellt werden.
Der Serienmörder und die Ermittlungen bilden zwar den äußeren Rahmen des Romans, doch der wahre Fokus liegt woanders. Blau verwebt Themen wie Religion, Feminismus und gesellschaftliche Normen miteinander. Sie beleuchtet die Perspektive einer Frau, die sich bewusst gegen Mutterschaft in ihrem Leben entschieden hat. Sheila und ihre Freundinnen trafen vor Jahren diese Wahl. Es wirkt wie ein rebellischer Schritt, in einer Gesellschaft, die Frauen oft über ihre Rolle als Mutter definiert.
Die Darstellung von Sheila empfand ich als besonders faszinierend. Obwohl sie Anfang vierzig ist, steht sie eher auf wackeligen Beinen im Leben. Sie springt von einer Beziehung zur nächsten und scheint nie wirklich „angekommen“ zu sein. Man merkt ihre innere Zerrissenheit, dabei wirft die subtile Gruppendynamik ihrer Freundinnen die Frage auf, inwieweit ihre Entscheidungen wirklich frei oder von äußeren Einflüssen geprägt sind.
Sheilas Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft und den Erwartungen ihrer Umwelt regt zum Nachdenken an. Die Autorin zeigt eindrücklich, wie tief verankert gesellschaftliche Vorstellungen von Frauenrollen sind. Sie spart nicht aus, dass dabei Frauen oft selbst als die härtesten Kritikerinnen ihrer Geschlechtsgenossinnen auffallen. Diese Beobachtung fühlt sich für mich authentisch an und spiegelt meine Erfahrungen wieder, wie sie viele Leserinnen vermutlich teilen.
Interessant ist aber auch mitzudenken, dass Männer ebenso von gesellschaftlichen Zwängen betoffen sind, auch wenn diese weitaus weniger reflektiert werden.
Neben dem feministischen sowie gesellschaftlichen Schwerpunkt bietet der Roman einen spannenden Einblick in die israelische Kultur, die für mich ein eher unbekanntes Umfeld ist. Die Kombination aus Feminismus und Religion, zu welcher die titelgebende Figur Lilith zählt, bereichern die Geschichte. Gleichzeitig habe ich mir etwas schwer getan, weil mir Wissen zum jüdischen Glauben fehlt. Mir sind sicherlich interessante Details entgangen.
„Liliths Töchter“ ist kein Thriller. Es ist mehr ein literarischer Roman, der komplexe Themen wie Mutterschaft, Feminismus und Religion verbindet. Wer sich auf diese ungewöhnliche Mischung einlassen kann, wird mit einer guten Geschichte belohnt. Auch wenn der Serienmörder eher als Impulsgeber für die innere Entwicklung der Protagonistin dient, habe ich dieses Buch mit seinen durchdachten Beobachtungen und dem für mich außergewöhnlichen Fokus gerne gelesen.
Sarah Blau
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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Liliths Töchter
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Tel Aviv. Kinderlose Frauen werden ermordet und nach ihrem Tod in Szene gesetzt: Eine Babypuppe zwischen die Hände geklebt, das Wort Mutter auf die Stirn geritzt. Sheila kennt die Toten: Ist sie selbst die Nächste oder doch die Täterin?
"Letztendlich wollen wohl alle Mütter werden, das heißt, alle normalen Frauen wollen es. Was sagt das wohl über dich aus?"
Es geht um Erwartungen, nicht nur die eigenen, sondern auch die von anderen sowie gesellschaftliche Ideale. Unterstellter Egoismus, Unglauben, Missbilligung oder abfällige Bemerkungen werden ebenso thematisiert wie mögliche Selbstzweifel: Täuscht mich mein Gefühl doch? Werde ich meine Entscheidung später bereuen?
Gelungen, wenn auch manchmal irritierend, fand ich den Umstand, dass ich Sheilas Einstellungen nicht immer festmachen konnte. Hat sie Entscheidungen bewusst getroffen? Hätte sie einige davon gerne rückgängig gemacht? Im Kontext des Buches habe ich diese Ambivalenz als mögliche Sichtbarmachung der Verzahnung von eigenen und fremden Wünschen empfunden, möglicherweise ist sie aber auch nur ein etwas anstrengender Charakter. 😬
Zudem werden Religion und Feminismus gemeinsam thematisiert, wobei die Interpretationen von Frauenfiguren (bzw. Mutterschaft und ihr Platz in der Gesellschaft) eine größere Rolle spielen. Für mich war dieser Aspekt sehr interessant und hätte gerne noch mehr Platz einnehmen dürfen.
Dass sich die recht überspitzt dargestellten Frauentypen nicht über den Weg trauen, einander nicht nur im Stillen bewerten, sich übertrumpfen und ausstechen wollen, hat zu der Art der Geschichte gepasst, wenigstens eine echte Verbindung hätte ich allerdings gerne gesehen. Gleichzeitig zeigt es aber auch, wie viel Macht jeden Tag in unseren Händen liegt.
Letztendlich hat mir die Idee wahnsinnig gut gefallen, auch wenn mir die Botschaften nicht immer eindeutig waren. Aufgrund der fehlenden Vertrautheit mit Israels Kultur und Gesellschaft kann ich mir z. B. gut vorstellen, dass mir einige wohlüberlegte Feinheiten verborgen geblieben sind. Eine Leserunde wäre super hilfreich gewesen!
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