Cover des Buches Unter Kirschbäumen (ISBN: B00KIZVMGS)
Rezension zu Unter Kirschbäumen von Sarah Jordan

Das Buch hat Potential, aber...

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 10 Jahren

Kurzmeinung: Die Geschichte hat Potential, aber mit der Protagonistin wurde ich nicht warm...

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 10 Jahren
Das Titelbild hat die Autorin selbst gestaltet und gemalt. Einerseits ist das auf charmante Weise originell, und das Buch ist dadurch ein rundum eigenverantwortlich gestaltetes Gesamtpaket - andererseits muss ich leider, leider zugeben, dass das Bild mich überhaupt nicht anspricht und auf mich eher unprofessionell wirkt. Wer Sarahs bezaubernden Kanal auf Youtube verfolgt (wo fast 7.000 Abonnenten zuschauen und -hören, wenn sie über Bücher und vieles mehr redet!), wird sich wahrscheinlich so oder so für den Roman dieser sympathischen jungen Frau interessieren, aber ich habe Bedenken, was Leser betrifft, für die sie nur eine unter vielen Debütautoren und Selbstveröffentlichern ist...

Aber worauf kommt es bei einem Buch an? Vielleicht 1% auf das Cover und 99% auf den Inhalt, und dazu komme ich jetzt.

Die Geschichte behandelt vieles, was junge Leser zweifelsohne bewegt: die (erste) große Liebe, der schwere Weg der Selbstfindung, Eifersüchteleien und Unsicherheiten... Die Art und Weise, wie diese Themen hier umgesetzt werden, bietet leider nur wenig Neues, aber ich denke schon, dass sie für Teens und Tweens dennoch ansprechend sind.

Ein Buch steht und fällt mit seinen Charakteren, und "Unter Kirschbäumen" konzentriert sich vor allem auf Maja, ihren Kindheitsfreund und zugleich ihre große Liebe Ben, seine Freundin-mit-Vorzügen Chelsea und deren charmanten Cousin Sam. Maja erzählt uns die Geschichte aus ihrer Sicht, unverblümt und ungeschönt. Und leider hatte ich große Probleme, mich wirklich mit ihr anzufreunden. Mal wirkt sie fast ein bisschen selbstverliebt (sie bezeichnet sich z.B. selber als "wunderschön"), dann ist sie wieder unsicher und extremst bedürftig. Aber vor allem ist sie oft zickig und biestig, anstrengend und bestimmend, egoistisch und anscheinend überhaupt nicht zur Selbstreflektion fähig. Sie bezeichnet sich selber als mild, sanftmütig, ausgeglichen und still, unkompliziert und herzlich, aber ihr Verhalten ist meist das genaue Gegenteil.

Zwar konnte ich durchaus verstehen, dass sie verunsichert ist, weil sie doch bis über beide Ohren in Ben verknallt ist und Angst hat, ihn für immer an eine andere Frau zu verlieren. Ist es realistisch, dass eine junge Frau im Herzschmerz der ersten großen Liebe zur Furie wird? Oh ja, das denke ich schon. Aber dennoch war mir ihr Verhalten oft einfach zu viel, und sie wälzt die Verantwortung dafür gerne auf andere ab.

Sie neigt dazu, aus allem ein Drama zu machen, und schreckt auch vor emotionaler Erpressung nicht zurück. Zitat: "Soviel bedeute ich dir also nach all den Jahren!", als sie einmal ihren Kopf nicht durchsetzen kann. Sogar von Ben fühlt sie sich oft bis zur Weißglut provoziert, über jedes Maß hinaus, und so explodieren viele Situationen in hefte Streitgefechte, in denen Maja Ben durchaus auch mal ein "Lass bloss deine Finger von mir, du Arsch!" oder ein "Verpiss dich!" an den Kopf schmeisst.

Erst gegen Schluss deutet sich bei Maja sachte ein emotionales Wachstum an, aber das hätte ich mir noch deutlich ausgeprägter und ausführlicher gewünscht. Überhaupt hätten vor allem die Protagonisten und ihre Beziehungen zueinander sehr von zusätzlichen 100 Seiten profitiert!

Chelsea war ein Charakter, der mir vor allem leidgetan hat. Sie war in Ben verliebt, der hat das über Jahre hinweg ausgenutzt, um Sex von ihr zu bekommen, und jetzt soll sie klaglos zurücktreten und Maja wieder das Feld überlassen. Wenn hier jemand Grund hat, enttäuscht und wütend und eifersüchtig zu sein, dann ist sie es! Die Sache mit Chelsea war auch ein Grund, warum Ben bei mir viele Sympathiepunkte eingebüßt hat. Später entschuldigt Chelsea sein Verhalten zwar damit, dass Männer eben Bedürfnisse haben, aber da konnte ich nur den Kopf schütteln.

Sam war ein sympathischer Charakter, der allerdings meist eher am Rande der Geschichte steht und das obligatorische Liebesdreieck vervollständigt.

Für mich war von Anfang an klar, wie das Buch enden würde. Insofern hätte hier der Weg das Ziel sein müssen, aber leider kam für mich nur selten Spannung auf. Der im Klappentext angekündigte Unfall ist wenig mehr als eine aufgebauschte Bagatelle, und danach gibt es noch ein paar Irrungen und Wirrungen, die für mich wenig zur Handlung beitrugen. Vieles war inhaltlich für mich nicht logisch oder einfach unglaubwürdig. Z.B. erzählt eine völlig Freme Maja innerhalb von fünf Minuten in etwa: Mein Mann ist taubstumm, der arme Kerl, und unsere Tochter ist übrigens gar nicht von ihm. Warum sollte sie das tun? Und inwiefern hat diese Szene das Buch bereichert?

Der Schreibstil ist an sich gut und flüssig zu lesen, nur manchmal wirkt er etwas gestelzt und steif, und er krankt etwas an Grammatik-, Zeichensetzungs- und Tempusfehlern - da merkt man leider, dass die Autorin nicht von einem Lektorat profitieren konnte, aber ich würde für die nächsten Projekte zumindest zwei, drei motivierte Testleser empfehlen! Aber der Schreibstil hat Potential, und manchmal entwickelt sich gar eine zarte, poetische Qualität, vor allem in den romantischen oder dezent erotischen Szenen.

Überhaupt: das Buch hat ebenfalls Potential, aber für mich liest es sich nicht wie ein fertiges Produkt sondern eher wie eine Rohfassung, die noch geschliffen und poliert werden muss. 100 bis 150 Seiten mehr, ein paar Szenen gestrafft, ein paar rausgeschmissen... Und vor allem ein paar hinzugefügt! Gerade aus Bens und Majas gemeinsamer Kindheit wird uns viel (knapp) erzählt, aber wenig gezeigt.

Fazit:
Ich denke, die Zielgruppe für diese Liebesgeschichte sind vor allem Teens und junge Tweens. Mir war die Protagonistin leider oft zu anstrengend, und weder Handlung noch Spannungsaufbau haben mich überzeugt. Hier steckt viel Potential drin, sowohl im Schreibstil als auch in den Charakteren; ich denke nur, das Buch hätte eine weitere, gründliche Überabeitung gebraucht, vielleicht mit Hilfe von Testlesern, die konstruktive Kritik austeilen können.

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