Ein wahres Schmuckstück (Erstausgabe 2009) wurde vor Halloween wieder veröffentlicht und 2013 um vier neue Geschichten erweitert: Das achtzehn Kurzgeschichten umfassende Werk „Die Gespenster von Berlin“ ist eine gut recherchierte Dokumentation über Geistererscheinungen in der geschichtsträchtigen Hauptstadt. Obwohl der Untertitel beim ersten Blick etwas irritiert – immerhin geht es um ein heikles Thema, nämlich um Geister –, bestätigen die Beiträge die Ernsthaftigkeit der Autorin.
In den Straßen von Berlin werden die verschiedensten Bauwerke unter die Lupe genommen und Berichte von deren Einwohnern ausgewertet. Die detailreichen historischen Hintergründe machen die Erzählungen von Sarah Khan authentisch. Schließlich handele es sich um wahre Geschichten. Greifbares und Unvorstellbares werden verbunden, Realität und Fiktion vermischen sich in der modernen Berliner Welt des 21. Jahrhunderts.
Hier kommen viele mitleiderregende Gestalten vor, die in einer realistisch funktionierenden Welt so gut wie keine Akzeptanz haben, im alltäglichen Leben können sie dennoch Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Auf Erlösung wartende friedliche Schattenwesen, stupsende, eiskalte „Unterhosenmonster“, Möbelstücke, die in eine Wohnung nach eingier Zeit wieder „zurückfinden“ und notverscharrte Kriegsopfer, die für Verwirrung sorgen. Es wird sogar eine Erklärung fürs seltsame Verhalten der Hauskatzen geliefert, wenn unnatürliche Gestalten sich in menschlicher Gegenwart aufhalten.
Viele der Gebäude im Buch sind historisch unbedeutsam, im Alltag würden diese Häuser wohl nicht besonders auffallen. Man lernt doch von Sarah Khan, an diesen besser mit Respekt vorbeizulaufen.
Faszinierend ist die hartnäckige Art der Autorin, wie sie Hinweisen folgt und sogar selbst nachts mit Tonbandaufnahmen in einem verlassenen Künstleratelier experimentiert. Beeinduckend ist die dokumentarische Gründlichkeit ihrer Ermittlungen und ihre direkte, sympatische Redseligkeit.
Sarah Khans zum Nachdenken anregende Erzählweise zeugt jederzeit von viel Achtung und Mitgefühl den Verstorbenen gegenüber, über deren Schicksale sie nach gründlichen Nachforschungen berichtet. Ihre Geschichten sind ohne Ausnahme fesselnd.
Ob man an Geistern glaubt oder nicht, wer gern gruselt, bekommt mit diesem Titel eine großartige Sammlung von schauderhaften Erzählungen.
EVT der aktuellen, erweiterten Ausgabe: 21.10.2013