Rezension zu "Papa hat sich erschossen" von Saskia Jungnikl
Die Autorin schreibt über die Schicksalsschläge, die ihre Familie und natürlich insbesondere sich selbst, sehr erschüttert haben. Nicht nur, dass sich ihr Vater, wie es der Titel schon sagt, erschossen hat und damit einen Suizid begangen hat, sondern ist auch ihr älterer Bruder Till vier Jahre zuvor gestorben.
Es ist ein sehr bewegendes, ehrliches Buch, dass unter die Haut geht. Saskia Jungnikel erzählt einfühlsam, aber auch mit klaren Worten, was der Suizid ihres Vaters ausgelöst hat und wie sie noch Jahre später damit zu kämpfen hat. Es sind Anekdoten in dem Buch zu finden, wie sie ihren Vater wahrgenommen hat, wie sie ihn als Kind und später als junge Erwachsene erlebt hat. Es sind Kurzgeschichten und Gedichte ihres Vaters enthalten. Es wird gezeigt, wie sie selbst und auch ihre Familie (Mutter und weitere zwei Brüder) mit den Verlusten umgegangen wird. Aber auch arbeitet sie das Leben ihres Vaters auf – Kindheit, Jugendzeit und seine Rolle als Vater.
Aber neben der Trauer ist es auch ein sehr aufklärendes Buch. Sie geht darauf ein wie öffentlich mit Suiziden umgegangen wird. Warum man bei einem Suizid nicht das Wort „Selbstmord“ verwenden sollte und klärt vor allen mit Fakten auf, was der mediale Umgang für einen Einfluss auf suizidgefährdete Personen hat. Sie zeigt auch auf, warum Männer sich häufiger umbringen als Frauen und warum ihr Vater in das Bild „eines starken Mannes“ passt, der sich keine Hilfe gesucht hat, der alles abgeblockt hat.
Sie greift die Frage des „Warums“ auf und wer die „Schuld“ trägt. Übrigens fand ich es besonders ekelhaft an der Stelle, als sie von einem Bekannten gesprochen hat, der ihr auf den Kopf zu gesagt hat, warum sie ihren Vater nicht aus depressiven Vater geholfen hat. Sie plädiert dafür einen offenen, aber auch sensiblen Umgang mit dem Thema zu haben.
Puh, auch wenn ich keine Trigger in der Richtung habe, musste ich doch an einigen Stellen des Buches tief Durchatmen und schlucken. Die Autorin hat es sehr nahegebracht, wie tief der Schmerz sitzt, welche Gefühle das in ihr ausgelöst hat (Trauer, Wut, Hilflosigkeit) und wie sie darum gekämpft hat, irgendwie damit klarzukommen und es zu akzeptieren.
Manchmal fand ich es etwas schwierig dem Geschriebenen zu folgen, da sie von Vergangenheit in die damalige Gegenwart hin- und hergesprungen ist. Manchmal hat es sich wie eine Aneinanderreihung von losen Gedanken gelesen. Aber das hat das Buch gleichzeitig zu echt und nahbar gemacht.
Ein wirklich schwieriges Thema über das Betroffene in so einer Offenheit selten sprechen, vor allem weil Suizid noch immer so einen schlechten Stellenwert hat. In manchen Teilen gilt es noch immer als „Schande für die Familie“. Und ja, wenn jemand einem das erzählt, würde mir im ersten Moment auch nicht einfallen, was ich sagen sollte. Aber wie die Autorin es schon schreibt, erhoffen sich die Betroffenen eine Reaktion, damit sie nicht das Gefühl bekommen, dass sie mit Thema die andere Person belastet haben. Das ist schlimm für sie, da es ihren schweren Rucksack nur noch voller macht.
Fazit: Ein sehr bewegendes, aber auch aufklärendes Buch, dem ich es jeden ans Herz legen kann, der erstens die Thematik verkraftet und sich für das Thema interessiert und mehr darüber erfahren möchte. Wie es beispielsweise den Hinterbliebenen damit geht, wie man selbst damit umgehen sollte, wenn jemand das anspricht und noch vieles mehr. 5 Sterne.