Rezension zu "Die Traurigkeit der Drachen" von Saskia Rögner
"Die Traurigkeit der Drachen" ... was könnte das bedeuten? Drachen kennen wir als furchtlose, Menschen fressende Ungeheuer, die Angst und Schrecken verbreiten und das Land in Schutt und vor allem in Asche legen. Solche Wesen fühlen nicht, sie sind da um zu herrschen und zu versklaven. Unbesiegbar trotzen sie jeder Gefahr, und jeder der einen Angriff auch nur in Erwägung zieht, darf mit dem Tod bezahlen. Wie könnte ein solches Wesen so etwas wie Gefühle besitzen? Aus welchem Grund sollte es jemals traurig sein? Im Titel wird das genannte Adjektiv gar substantiviert, was eine gewisse Dramatik verspricht. Ich darf vorwegnehmen, dass dieses Versprechen eingehalten wird ... !
Es gibt Ärger in Asangál, im Palast des Hohen Rates. Cithàr, Oberster desselben, will seinem Sohn Aduran das Recht auf den Thron aberkennen und verbannt ihn. Als flügellos geborener Feuerdrache wäre er eine Schande für das gesamte Reich. Greta Tarina Silvardán, eine Dragan, Erbin des großen Drachens, wird nicht angehört und auch Draindell, dem Rebell und Unruhestifter aus Soschorr, wird es verwehrt, vor dem hohen Rat aussagen zu dürfen.
Wird Aduran zurückkehren, um seine Rechte einzufordern und was geschieht mit seiner großen Liebe Silvana, die auf der Suche nach ihm in unbändiger Wut über das Land hetzt und anschließend in die alles verschlingende Traurigkeit zu stürzen droht? Denn nur die Traurigkeit besitzt die Macht, die Unsterblichkeit der stolzen Drachen zu zerbrechen ...
Es beginnt mit Tarina (von den Menschen Silberfuchs genannt), die zwischen Draghor und der Menschenwelt pendelt und die sich nichts sehnlicher wünscht, als Draghor niemals mehr verlasen zu müssen. Ihre Aufgabe ist, die „Tore“ zu bewachen und Drachen, die sich in die Menschenwelt verirren, zurückzuschicken. Doch da ist noch etwas. Der große Drache Durell Valdan. Er lebt in der Menschenwelt ...
Einst wurde er für etwas verbannt, was nie zuvor geschehen war. Er verschwendete seine Seele an einen Menschen und nahm sie zur Frau. Doch selbst er konnte nicht ahnen, welch unabsehbare Folgen dies haben sollte. Er wurde mit ihr in die „Wüsten Darayan“ geschickt und öffnete dort zum ersten Mal ein Tor in die Menschenwelt - er, der einer der letzen war, der die Mächte aller Elemente in sich vereinen konnte. Das war vor 6000 Jahren ...
Stefan Leander gelangt als Mensch in die Drachenwelt. Mehr oder weniger versehentlich. Tarina ist auf der Flucht. Es geht um Leben und Tod. Sie hastet durch diese Disco, über die Tanzfläche und durch eine Tür, die in einen verspiegelten Gang führt. Jetzt oder nie. Es bleibt keine Zeit, denn das Tor muss sofort geöffnet werden ... es gelingt, doch sie macht einen winzigen Fehler ...
(Was jetzt passiert, möchte ich gerne in einem Kinofilm sehen. Spektakulärer kann eine Szene nicht sein. Das Tor nach Draghor! Oder eines davon, denn es gibt ja viele ...)
Marcus, dessen Vater einst Tarinas Mutter tötete, ist sich seiner Sache sicher. Einmal ist ihm Tarina entkommen. Doch das würde ihm nicht noch einmal passieren. Das nächste Mal wird er besser gerüstet sein Er würde Macht über die Drachen gewinnen und vor allem – er würde ewig leben ...
Wenn die Tivàr erwachen, sollte man sich von den Bergen Talvadars fernhalten, denn dort sind die Gesetze der Drachen vergessen. Das Wesen, das dort lebt, gibt Namen und einst gab es auch Leben. Es ist ewig, kennt kein Alter und ist dennoch nicht unsterblich. Es holt sich Kraft von den Wesen Draghors, und so ruht das Gleichgewicht dieser Welt ...
Wie das alles zusammenpasst, muss selbst „erlesen“ werden. Saskia Rögner entwirft eine phantastische Welt, geschaffen aus purer Phantasie. Eine Welt in der Welt, ein gigantisches Traumbild: Draghor.
Auf ebenso langwieriges wie langweiliges Ausmalen von Charakteren, deren endlose Lebensgeschichten und -umstände, verzichtet die Autorin weitgehend, tauscht sie gegen bildgewaltige Landschaftsbeschreibungen der Drachenwelt aus, und widmet sich einer geradlinigen Geschichte, welche die Handlung in den Vordergrund stellt. Und genau diese vermag sie unvermittelt und teils völlig unerwartet in Szene zu setzen, so dass es den Leser fast in akute Atemnot stürzt.
Symptomatisch dafür scheint mir ein Satz auf S. 171 zu sein. Tarina stellt den Mörder ihrer Mutter, der ihr von der Faszination des Tötens erzählt. In allen Einzelheiten schildert er das Sterben ihrer Mutter und dass er heute noch vom „Tanz ihres Todes“ träumt - was er nach all der vergangenen Zeit noch immer genießt! Tarina erstarrt in ohnmächtiger Wut ...
„Sie konnte es sehen, jedes Wort von ihm war wie ein Bild.“
Diese Aussage kann ich mühelos auf das gesamte Buch übertragen. Die 320 Seiten vergehen wie im Flug. Doch wenn sich das Buch schließt, bleibt die Welt von Draghor erhalten. Für immer. Wie auf einer unsichtbaren Leinwand. Denn was Saskia Rögner schreibt, können wir sehen ...
Jedes Wort von ihr ist wie ein Bild.
Thomas Lawall © www.querblatt.com