Rezension zu "Tewje, der Milchmann" von Scholem Alejchem
Das Musical „Fiddler on the Roof/Anatevka“ ist weltbekannt, doch auch mir war nicht richtig bewusst, dass hinter diesem eine literarische Vorlage steckt, die von vielen längst vergessen ist. In Tewje, der Milchmann erzählt uns der Protagonist Tewje aus der Ich-Perspektive aus seinem Leben und den Problemen seiner Familie um die Jahrhundertwende in Osteuropa. Hier blitzt immer wieder der berühmte jiddische Humor auf, mit dem der Milchmann auch mit schwierigen Situationen umgehen kann. Anfangs fiel es mir schwer, in die von Zitaten gespickte Sprache hineinzukommen, gleichzeitig erlaubt der Roman aber einen tollen Einblick in jüdische Sprichwörter und in die religiösen Verse, in denen das Leben abgebildet wird. So gibt es in Tewjes Leben keinen Moment, den er nicht mit einem Spruch begleiten kann.
Tewje, der Milchmann ist ein Roman, der gekonnt von den Höhen und Tiefen des Lebens erzählt. Oftmals war es schwer, beim Lesen zwischen Ironie, Tragik und Humor zu unterscheiden. Tewje ist ein Kämpfer und für mich gewinnt die Handlung gerade im letzten Drittel besonders an Stärke, wenn sich die Bewohner mit dem zunehmenden Judenhass in Osteuropa unschlüssig über ihr Tun beispielsweise dazu entschließen, Tewje zu bitten, doch selber die Scheiben seines Hauses einzuschlagen und Tewje, bedroht durch Pogrome, immer noch über das Leben sinniert.
Der Schriftsteller Scholem Alejchem musste Anfang des 20. Jahrhunderts selber seine Heimat in der Ukraine verlassen und in die USA emigrieren. Er hat die Situation der Juden selber miterlebt und erzählt gekonnt von dieser, wenn aus Nachbarn plötzlich Feinde werden sollen oder gar müssen und das Leben auf Grund der Religion bedroht wird. Tewje, der Milchmann ist damit ein wichtiges Werk nicht nur der jiddischen Literatur, zeigt es doch eine längst vergangene Zeit auf und gibt ein Portrait des Lebens der Ostjuden vor dem Zweiten Weltkrieg wieder.
Fazit: Tewje, der Milchmann erzeugte bei mir eine Ambivalenz bei dem Versuch, den Roman zu bewerten. Die Erzählweise war für mich etwas komplett neues und konnte mich nicht immer „mitnehmen“, dennoch ist Scholem Alejchems auch ein wichtiges Zeitdokument und ich finde es toll, dass der Manesse Verlag den Roman neu aufgelegt hat. Ich gebe dem Buch 3 von 5 Sternen und vergebe eine Leseempfehlung an alle, die sich für jiddische Literatur interessieren. An diesem Roman darf man nicht vorbeigehen!