Die Geschichte von Yunjae, einem Jungen, der von Geburt an keine normalen Emotionen wie Freude, Angst oder Wut empfinden kann, begann wirklich vielversprechend. Ein Teenager, der aufgrund einer Krankheit Schwierigkeiten hat, sich selbst und seine Umwelt zu verstehen. Die Welt von Yunjae wird durch bunte Post-it-Zettel geregelt, die ihm soziale Interaktionen und das Zeigen von Emotionen vorschreiben. Doch als ein traumatisches Ereignis an seinem 16. Geburtstag seine Welt erschüttert, muss er sich mit der Realität konfrontieren. Die Begegnung mit Gon, einem neuen Jungen an der Schule, gibt ihm die Chance, sich zu verändern und vielleicht zu dem „Helden“ zu werden, von dem er nie zu träumen wagte. 📚
Sohn Won-Pyung schreibt sehr sachlich, fast distanziert, was die innere Leere und das Fehlen von Gefühlen bei Yunjae ziemlich gut widergespiegelt hat. Dieser Stil hilft dabei, das Gefühl der Isolation des Protagonisten zu verdeutlichen. 🖋️
Der Plot hatte viel Potenzial, besonders die Idee, die emotionale Reise eines neurodivergenten Jugendlichen zu erzählen. Leider wird die Thematik in "Mandel" sehr eindimensional behandelt, und die Darstellung von Yunjaes emotionaler Blockade wirkt eher klischeehaft. Besonders problematisch ist die Schlussfolgerung, dass Yunjae erst dann „menschlich“ wird, als er für seinen Freund Gon leidet – eine Darstellung, die die toxische Idee verstärkt, dass Menschen nur dann wirklich „fühlend“ sind, wenn sie sich für andere aufopfern. Das Ende, das eine Art „Wunderheilung“ und ein Happy End präsentiert, wirkt unrealistisch und in sich problematisch. 🤔
Als Leserin fühlte ich mich an vielen Stellen unwohl, insbesondere im Umgang mit neurodivergenten Charakteren. Die Darstellung von Yunjaes Zustand und der scheinbare „Heilungsprozess“ durch Freundschaft und körperliches Leiden sind problematisch und unterstützen ableistische Narrative. Die Idee, dass ein Mensch mit alexithymischen Zügen erst dann „vollständig menschlich“ wird, wenn er „normale“ Emotionen wie Liebe und Trauer empfindet, ist nicht nur oberflächlich, sondern auch gefährlich. Es vermittelt die Botschaft, dass Menschen nur durch Trauma oder das „normale“ Erleben von Emotionen akzeptiert werden können. 🚫
Trotz der problematischen Themen muss ich sagen, dass mich das Buch an vielen Stellen sehr berührt hat. Als eine Person, die sehr viel und sehr intensiv fühlt, war es noch schmerzhafter zu sehen, wie unser Hauptprotagonist durchs Leben geht. Seine eigene Sicht auf die Krankheit war teilweise echt schön - er sah sich selber auch als "normal" an. 💔
Fazit: Insgesamt bleibt "Mandel" ein Buch mit einer vielversprechenden Ausgangsidee, das in der Ausführung aber an vielen Stellen scheitert. Die problematische Darstellung von Neurodivergenz und das unrealistische Ende machen es für mich zu einem schwierigen Leseerlebnis. Es könnte so viel mehr gewesen sein, wenn die Autorin das Thema mit mehr Respekt und Tiefe behandelt hätte. ⭐⭐⭐
Vielen Dank an den Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar.
Sebastian Bring
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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„Mandel“ von Won-pyung Sohn
Verlag: Aufbau digital /Blumenbar
Ein bezauberndes Monster nannte ihn seine Oma liebevoll.
Alexithymie - ein Begriff für die Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden und auszudrücken. In der Umgangssprache spricht man oft von Emotionslosigkeit. Genau damit lebt Yunjae. Seine Amygdala, der sogenannte Mandelkern im Gehirn, ist zu klein, weshalb er kaum Freude, Angst oder Wut empfindet. Seine Mutter hat alles versucht, um ihm zu helfen, doch die ersten Symptome wurden bereits im Alter von sechs Jahren sichtbar. In der Grundschule verschlimmerte sich das Problem, und Yunjae wurde als seltsam und unnormal abgestempelt.
Bis zu einer schicksalhaften Gewalttat standen seine Mutter und seine Großmutter schützend an seiner Seite. Sie erklärten ihm Situationen und lehrten ihn, wie er in bestimmten Momenten reagieren sollte. Ein Satz seiner Mutter hat sich besonders in sein Gedächtnis eingebrannt:
„Zu viel Ehrlichkeit kann dein Gegenüber verletzen“ (Pos.41)
Doch plötzlich ist Yunjae auf sich allein gestellt. Neue Menschen treten in sein Leben, darunter Gon, ein schwieriger, gewalttätiger und auffälliger Mitschüler, sowie Dora, eine energiegeladene Läuferin, die Bücher langweilig findet, dafür selbst immer in Bewegung bleibt. Dora vermittelt Yunjae Gefühle, die er zunächst nicht versteht.
Mit der Zeit beginnt der 15jährige, seine Amygdala zu „trainieren“. Aus seiner Perspektive erzählt der Roman die Geschichte zweier Außenseiter, die eine zarte Freundschaft eingehen. Doch die Freundschaft ist vor allem anfangs alles andere als sanft: Gon vermittelt seine Gefühle mit Gewalt, während Yunjae ohne jegliche Gefühlsregung, mit klaren, sachlichen und ehrlichen Worten seine Emotionen ausdrückt.
Während Dora für Yunjae ein positiver Lichtblick ist, stehen sich Gon und er als Gegenspieler gegenüber.
Beide Jungen haben schwere Schicksale: Yunjae, der nicht in der Lage ist, Emotionen zu erkennen und zu zeigen, und Gon, der mit Gewalt aufgewachsen ist. Dennoch lernen sie voneinander, jeder auf seine eigene Weise.
Die Charaktere wurden bildlich ausgearbeitet, und man konnte sich unglaublich gut in die Situationen hineinversetzen. Durch den flüssigen Schreibstil ist man durch die Seiten geflogen.
Won-Pyung Sohn beschreibt in ihrem bewegenden Debütroman die Gefühlswelt von Außenseitern und zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Wege Menschen trotz aller Widrigkeiten gehen können. Die Geschichte macht deutlich, wie wichtig Toleranz gegenüber Vielfalt ist und dass „Normalität“ ein dehnbarer Begriff ist.
Durch gezieltes Training gelingt es Yunjae schließlich, seine Emotionen besser zu verstehen - ein Mut machender Roman über Freundschaft und die Kraft, Emotionen zuzulassen.
Mich hat der Roman sehr angesprochen, die Erzählung über die beiden jungen Menschen und deren Schicksale, sowie die wunderbare Freundschaft machen Mut.
Außenseiter zu sein, seltsam oder anders, kann etwas Wundervolles sein - man muss nur genau hinsehen!
Wunderschön erzählt und zutiefst berührend.
Die Geschichte beginnt vielversprechend, mit einem starken Einstieg, der sofort fesselt. Die Figuren sind durchdacht und gut platziert, was das Lesen angenehm macht. Doch je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr verliert sie an Spannung. Besonders in der zweiten Hälfte zieht sich die Geschichte etwas, sodass sie für mich nicht über das Prädikat „nett zu lesen“ hinauskommt.
Vielleicht liegt es an meiner generellen Abneigung gegenüber Coming-of-Age-Romanen, dass mich das Buch nicht wirklich gepackt hat. Zudem erinnerte mich die Geschichte stark an Extrem laut & unglaublich nah, das ich als wesentlich gelungener empfand. Während jenes Buch mich berühren konnte, blieb dieses eher distanziert.
Objektiv betrachtet ist es ein solides Buch mit einer interessanten Prämisse, das sicherlich viele Leser:innen ansprechen wird – für mich persönlich war es jedoch nicht ganz das Richtige.