Treffendes Bild
Es ist nicht nur die Türkei unter Erdogan, die selbst den trägen Westen und die trägen Verantwortungsträger der EU so langsam in diesen Tagen zu klaren Äußerungen und einer offen ablehnenden Haltung gegen dieses Verhalten und Vorgehen dort nötigen.
Es ist ein System, das an vielen Orten existiert, das lange (und in vielen Fällen bis heute und über den Tag hinaus) es wohl nötig macht, beide Augen zu verschließen vor den Strukturen, die solche Systeme rahmen. Sei es, wegen „guter Geschäfte“, sei es, wegen der Abhängigkeit von Rohstoffen, sei es um der vermeintlichen Stabilität willen in konkreten Regionen.
Und Saudi-Arabien ist da tatsächlich die „aus dem Sand“ herausragende Spitze des Berges, wegen derer viele politisch Mächtige den „Kopf in den Sand“ stecken. Wobei das alles, im wahren Sinne des Wortes und im übertragenen Sinne „auf Sand gebaut“ ist. Sie Sons überzeugend vor Augen führt und in vielen Details belegt.
Eine absolute Monarchie mit strengen Regeln, eine islamische Herrschaft auf jahrhundertalten Traditionen unverändert verankert, Der Wahhabismus als religiöse Haltung, der ohne jede Verbiegung Al-Kaida und den IS unter sich vereinen kann. Auch wenn offiziell beteuert wird, sich auf keinen Fall gemein zu machen mit Islamisten, Terror und Gewalt. Es ist noch nicht einmal mehr ein offenes Geheimnis, sondern nur allzu bekannt, wieviel an saudi-arabischem Geld über die Jahre in die Kassen islamistischer Hardliner geflossen ist.
Alkoholbesitz wird mit Todesstrafe geahndet, Theater und Kino sind verboten, Regimekritiker werden verhaftet oder gleich enthauptet, Kritik am Königshaus oder dem Wahhabismus wird nicht geduldet, die wahhabistischen Geistlichen sind Sitten- und Tugendwächter im Land, Frauen dürfen ein Auto nicht eigenständig fahren, der Koran bildet die Verfassung des Landes.
Man könnte auch sagen: „Mittelalter live und real“. Aus westlicher Sicht zumindest erinnert die klare Struktur der Monarchie, die Härte der Regeln und das absolute durchsetzen derselben an europäisch mittelalterliche Verhältnisse der Feudalherrschaft mittels Monarchen, Adeliger und der Kirche.
Gleichzeitig liegen dort immer noch die zweitgrößten Ölreserven der Welt „unter dem Sand“ in einer Gesellschaft, die durchaus wirtschaftlich und technisch in die Moderne geführt wurde. Bildung, Gesundheit und tägliches Leben werden intensiv gefördert und preiswert gehalten, aber um den Preis der absoluten Treue zu „dem, der zahlt“.
Sons zeichnet die Wurzeln der Gegenwart nach, beschreibt das Land im aktuellen Zustand, öffnet den Blick für die zentrale Bedeutung des Landes als „Naht“, die den Nahen Osten (noch) soweit es geht zusammenhält und bildet auch die konstruktiven Chancen im Land und im Umgang mit dem Land im Buch ab.
Ebenso aber verweist er auf die vorhanden „Doppelmoral“ des Westens. Gute Geschäfte und Sicherheit in der Region einerseits, das Anprangern und Wissen um die Verwicklungen der führenden Köpfe des Landes in dunklen Strukturen, in Terror und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung.
Sons führt all dies differenziert aus und ruft zu einer klaren und realen Politik Saudi-Arabien gegenüber auf. Bleibt dabei aber angenehm differenziert.
„Dennoch müssen wir verstehen, dass Saudi-Arabien sehr viel facettenreicher ist als das Bild, das üblicherweise von dem Wüstenstaat vermittelt wird“.
Diese Facetten stellt Sons verständlich und kenntnisreich dar und schafft damit die Grundlage für eine mögliche, konstruktive (zumindest konstruktivere als bisher) Politik gegenüber dem Land mit der besonderen „Schlüsselposition“ weltweit betrachtet, was die Stabilität einer ganzen Region angeht.
Tradition bewahren, Moderne annehmen und sozialen Wandel zulassen, dass sind die Aufgaben, die Sons am Ende konkret für alle Beteiligten benennt und die miteinander und nicht gegeneinander auf den Weg gebracht werden müssen.
Eine lehrreiche, anregende und konstruktive Lektüre.