Cover des Buches Sei ganz still (ISBN: 9783839217016)
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Rezension zu Sei ganz still von Sebastian Thiel

Ein spannend geschriebener noir-Krimi aus dunkler Vorkriegszeit...

von SigiLovesBooks vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Ein durchaus real vorstellbarer noir-Krimi aus der NS-Zeit: Themenschwerpunkt: Eugenik - Rassengesetze - unwertes Leben - absolut lesenswert

Rezension

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SigiLovesBooksvor 9 Jahren
"Die Jagd beginnt! Im Sommer des Jahres 1938 brodelt die Stimmung im Deutschen Reich. Hitler verlangt nach mehr Lebensraum im Osten, das Volk stimmt blind vor Euphorie ein. Nur der Schläger, Trinker und Polizist Friedrich Wolf bekommt von alldem nichts mit.
Eingesperrt im Strafgefangenenlager schuftet er unter schlimmsten Bedingungen, bis ein mysteriöser SS-Arzt ihn herausholt und ihn beauftragt, ein ganz bestimmtes Mädchen in der Düsseldorfer Unterwelt ausfindig zu machen. Eine Jagd beginnt, die Wolf an seine Grenzen bringt. Und bald schon wird aus dem Jäger ein Gejagter...
"(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:
Dieser Krimi, der einen großen Anteil an historischen nationalsozialistischen Inhalten hat (Eugenik, Euthanasie), ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend zu lesen, aber auch erschütternd, da es um die von Hitler erlassenen "Rassengesetze" und deren Ausführung geht und um die Vernichtung "unwerten Lebens"; will heißen, Menschen mit einer Behinderung oder Erkrankung (auch Kindern) jegliches Recht auf Leben abzuerkennen - und sie grausam und mit kriminellen Experimenten zu ermorden. Dies allein ist schon das Lesen wert, aber der Ex-Polizist Wolf - nach außen hin gewalttätig, versoffen und der Unterwelt, besonders Prostituierten sehr zugetan, dennoch mit einem Herz im Leibe ausgestattet und selbst gewalt-traumatisiert, der sich auf Geheiß eines Karrieristen aus der SS dem Aufspüren von Charlotte widmet, die "Verlobte" des Offiziers, ist der Einzige, der mittels seinen Kontakten den Verbleib von Charlotte aufdecken kann. Allerdings weiß Wolf bald nicht mehr, wen er als Freund und wen als Feind bezeichnen muss: Diesen Aspekt hat S. Thiel sehr gut spürbar gemacht, der zeitlich genau die Atmosphäre beleuchtete, die politisch 1938 geherrscht haben muss: NS-Spitzel gab es überall, jeder Andersdenkende oder Nicht-Arische wurde inhaftiert, später deportiert und millionenfach ermordet. So ist auch der Teil der Bevölkerung mehr als bedroht, der durch seine Behinderung oder Erkrankung "die völkische Gesundheit" gefährden könnte - und daher Zwangssterilisation und Schlimmeres erleidet. Ein sehr dunkles Kapitel deutscher Geschichte, die sich hier auftut - und die der erschütterte Leser ins Auge blickt: In der Krimi-Couch wurden Sebastian Thiel ungenaue Recherchen unterstellt, da "T4" zeitlich 4 Jahre später lief (ein Programm zur Tötung der Delinquenten). Dies vermag ich nicht zu beurteilen, jedoch ist dies für mich auch unerheblich: Eine Geschichte, die klarmacht, mit welcher Kriminalität hier gegen die Schwächsten vorgegangen wurde - mit brutalsten Mitteln und weniger an der Volksgesundheit interessiert als an der "Arbeitsverwendung". Dieses Selektionsverfahren zeigte sich ja millionenfach leider auch im Holocaust.

Fazit:
Ein sehr lesenswertes Kapitel deutscher NS-Geschichte, spannend und stilistisch klar und flüssig geschrieben, ein spannender Kriminalfall mit einem stimmigen Plot. Erschreckend und bis heute empörend, dass lt. einer Dokumentation (TV) einem Schreibtischtäter und hohen Verwaltungsleiter im Naziregime, Hans Globke, nachweislich Mitverfasser der "Nürnberger Rassegesetze", einen (hohen) Stuhl bei Adenauer fand - als Staatssekretär!Von mir 5 Sterne und 96° auf der Krimi-Couch.
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