Rezension zu "Ein Hund kam in die Küche" von Sepp Mall
Das Buch erzählt die Geschichte einer südtiroler Familie, die im Zuge der «Grossen Option», ihr Heimatdorf verlässt und ins «Deutsche Reich» auswandert. Alle deutschsprachigen Familien im Südtirol mussten sich im Zuge dieser Option, die 1939 zwischen Hitler und Mussolini verhandelt wurde, entscheiden, ob sie – als Teil des «deutschen Volkkörpers» - ins Deutsche Reich auswandern oder im Südtirol verbleiben und sich dem italienischen Faschismus unterwerfen wollen.
Sepp Mall ist selber im Südtirol geboren und lebt heute in Meran. Er schreibt Erzählungen, Gedichte und Romane. Ein Hund kam in die Küche war auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert.
Gemässe einem Artikel, den Sepp Mall für die NZZ geschrieben hat, war auch seine Familie von der Option betroffen. Er beschreibt darin, wie er als Kind auf dem Dachboden der Oma Holzkisten gefunden hat, die – wie sie ihm dann erklärte – für die Auswanderung gedacht waren. Im Gegensatz zur Familie im Roman, blieb seine Familie aber im Südtirol. (Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/suedtirol-option-1939-mussten-suedtiroler-zwischen-hitler-und-mussolini-waehlen-ld.1756938 - auch sehr lesenswert!)
Erzählt wird die Geschichte vom – zu Beginn des Buches – 11-jährigen Ludi. Er lebt mit seinen Eltern und seinem leicht behinderten Bruder Anton, genannt Hanno, in Mariendorf im Südtirol. Hier ist er zuhause: Er kennt jedes Gässchen und verbringt – trotz des Krieges – relativ unbeschwerte Momente mit seiner besten Freundin Katharina und seinem Bruder, den er über alles liebt. 1942 entscheiden seine Eltern, d.h. hauptsächlich sein Vater, die Heimat zu verlassen und ins Deutsche Reich zu ziehen. Die Entscheidung spaltet eine Familie: So bleibt der Bruder des Vaters mit seiner Familie im Südtirol zurück. Schon Wochen vor der Abreise sprechen die beiden kein Wort mehr miteinander.
Schon kurz nach ihrer Abreise zeigt sich, dass die Hoffnungen, die sie an diese Auswanderung geknüpft haben, nicht erfüllt werden. Bei ihrer Einreise wird ihnen auferlegt, Hanno in eine Klinik zu geben. Schweren Herzens reist die Familie ohne ihren jüngeren Sohn weiter. Auch der Vater verabschiedet sich von der Familie: Er meldet sich freiwillig und zieht in den Krieg nach Frankreich. Zurück bleiben Ludo und seine Mutter, die immer wieder in depressive Phasen verfällt. Sie schlagen sich an diesem fremden Ort mehr schlecht als recht durch: Die Mutter findet Arbeit in einem Laden, Ludo ist oft ganz alleine zu Hause. Gespannt warten sie auf Neuigkeiten Ihrer Liebsten. Alles scheint gut zu gehen, bis ein Schreiben der Klinik eintrifft: Hanno sei an einer Lungenentzündung gestorben. Im Folgenden erscheint Ludi der tote Hanno immer wieder als Begleiter, der ihn durch diese schwere Zeit bringt.
Der Titel «Ein Hund kam in die Küche» ist die erste Zeile eines Kinderliedes, das auf den ersten Blick sehr kindlich und naiv klingt, jedoch einen grausamen Inhalt hat. Der Hund stiehlt dem Koch ein Ei, worauf dieser ihn mit der Kelle «entzwei» schlägt. Das Lied wird – genauso wie ein zweites Kinderlied mit sehr ernstem Inhalt «Maikäfer flieg» - in der Geschichte gesungen. Es gibt auch eine kurze Szene mit einem Hund, dem leider ein sehr ähnliches Schicksal zuteilwird. Sie zeigt die rohe Gewalt, Brutalität und fehlende Empathie auf, die zum Alltag der Hauptperson gehören. Für mich hat der Titel aber auch eine symbolische Bedeutung. Er spricht auf den sehr kindlichen, naiven Ton an, in welchem auch in dieser Geschichte die Schrecken des Krieges beschrieben werden. Als Leser bekommen wir alles nur durch Ludos Perspektive mit. Erst im allerletzten Kapitel werden Kriegsereignisse aus der Sicht eines Erwachsenen geschildert. Sie setzen das Grauen nochmals in eine ganz anderer Perspektive.
Das Buch hat mir nochmals eine neue Facette der grausamen Kriegsjahre gezeigt, von der ich bis jetzt nichts wusste. Trotz der kindlichen Perspektive und der wunderschönen Sprache, ist das Buch schwer zu lesen, da man die Grausamkeiten als Erwachsener nur allzugut erahnen kann. Deshalb gibt's von mir eine klare Leseempfehlung, aber mit der Warnung: Es ist definitiv keine leichte Unterhaltung.