Cover des Buches Gefallene Engel (ISBN: 9783869134680)
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Rezension zu Gefallene Engel von Seppo Jokinen

Das finnische Leben und die Sonderkeiten der Menschen kennenlernen. Ein ruhiger Krimi mit Kern!

von Floh vor 10 Jahren

Kurzmeinung: Kommissar Koskinen ist der neue Kurt Wallander. Hier gibt es einen finnischen Krimi mit eigener Würze!

Rezension

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Flohvor 10 Jahren
Gastland Finnland auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Hier gibt es für die Leser außergeöhnliches zu finden und zu entdecken. Ich habe einen solchen finnischen Schatz in den Neuerscheinungen entdeckt. Und ich muss zugeben: Ja, das ist der eisige und trockene Stil des hohen Skandinaviens. Autor Seppo Jokinen hat mit "Gefallene Engel" einen Kriminalroman erschaffen, der mit leisen Tönen, trockenen Fakten und staubigen Humor einen Fall bietet, der ein ernstes und tiefgehendes Thema behandelt. "Gefallene Engel" ist bereits der sechste Fall für den verschrobenen Kommissar Koskinen und erstmals in deutscher Übersetzung erschienen. Wer Hennig Mankells Kurt Wallander liebt, der wird auch Sakari Koskinen in sein Herz schließen.
Erschienen im ars vivendi Verlag (http://arsvivendi.com/)

Inhalt / Beschreibung:
"Ein eiskalter Herbsttag: In einem Vorort Tamperes wird die Leiche eines jungen, querschnittsgelähmten Mannes gefunden von seinem Rollstuhl fehlt jede Spur. Wie ist er dorthin gekommen? Und: Wo ist der eigentliche Tatort? Kommissar Koskinen und sein Team nehmen die Ermittlungen auf und finden heraus, dass das Opfer in einer Einrichtung für betreutes Wohnen gelebt hat und dort zu den »Engeln von Hukka«, einer Gruppe enthusiastischer Motorradfans, gehörte. Als bald darauf ein Mitglied dieser mysteriösen Vereinigung spurlos verschwindet und ein weiteres einen rätselhaften Unfall erleidet, kommt Koskinen einem mörderischen Geheimnis auf die Spur, das Jahrzehnte zurückreicht ... Ein spannungsgeladener Kriminalroman von Finnlands Bestsellerautor!"

Handlung:
Zunächst erleben wir in dem spannenden Prolog einen Unfall, der erste Fragen aufwirft und den Grundstein für alles weitere legt. Ein sehr guter Schachzug, mit dem alles beginnt. Dann tauchen wir recht schnell in die Welt des Hauptkommissars Sakari Koskinen ein, seinen Status als Vorgesetzter, seine familiären Problemchen und seine eigene ganz typische verschrobene Art. Koskinen und sein Team werden zu einem neuen Fall berufen, ein Toter, dessen Rollstuhl verschwunden bleibt. Koskinen macht sich schnell an die Ermittlungen und Recherche, sein Team hingegen wirkt etwas lahm und desinteressiert. So gesellen sich zu den Problemen des Kommissars nicht nur seine Frauengeschichten, sein Sport und der aktuelle Fall, sondern auch seine Qualitöten als Chef der Kommission. Koskinen kämpft auf breiter Front, er tritt nicht nur in ein Fettnäpfchen nach dem nächsten, nein, er tritt auch gleich ein ganzes Wespennest in dem Heim für Behinderte "Die Wolfsstube" los und bewirkt somit eine Verkettung von den unglaublichsten Missständen, Vertuschungen, Schweigen und sonderbaren Verhalten. Bei Koskinen schrillen alle Alarmglocken. Vor allem als es weitere Tote gibt und sich für ihn eine Spur der Erlösung erhauskristallisieren will...die "gefallenen Engel". So bekommt dieser Titel eine ganz andere Bedeutung. Koskinen verzagt und beginnt zu Laufen, dass ist sein Sport, der ihn wieder erdet und Luft verschafft. Während seines letzten Spurts verkettet er all die kuriosen Zufälle und kommt somit einem Skandal hinters Licht....

Schreibstil:
Seppo Jokinen schlägt für seinen Krimi einen seichten und ruhigeren Ton an. Dieser Krimi kann auch ohne großes Blutvergießen und Schlachterei für Entsetzen, Spannung und Nervenkitzel sorgen. Mit seinem Ermittler Koskinen hat er eine wirklich ganz spezielle Figur erschaffen, der sich schnell in die Herzen der Leser ermittelt. Besonders Leser von Hennig Mankells Kurt Wallander werden gefallen an dem verschrobenen Kommissar Sakari Koskinen finden. Auch wenn dies bereits der sechste Fall des Ermittlers und seinem Team ist, so hat man keineswegs das Gefühl irgendetwas aus der Vergangenheit zu vermissen. Autor Seppo Jokinen gibt auch Neulesern der Reihe immer genügend Futter, um sich ein stimmiges und komplettes Bild der Protagonisten, des Falls und des Teams der Mordkommission zu verschaffen. Seppo Jokinen erzählt nicht nur einen Kriminalfall, nein, er erzählt von bisanten Themen und die Geschehnisse rund um ein Behindertenheim, das Leben als Invalide, die familiären Umstände, das Abwenden einiger Freunde, von dem Wunsch nach Flucht und Erlösung, von Verrat und Korruption, von Vertuschung und Abschiebung, und von Mord und Selbstmord....All diese Themen und Fakten spricht Seppo Jokinen in einem Erzählton, der so in dieser Art und Weise von mir als Leserin in einem Krimi noch nie vernommen und genossen wurde. S. Jokinen schreibt in einer weitgehend überzeugenden Mischung aus Nüchternheit und originell aufblitzenden Bildern. Er bildet eine Poesie, die es den Lesern frei stellt, Bilder zu erzeugen und Zusammenhänge zu knüpfen. Hierran sollte man sich erst gewöhnen ehe man sich auf diesen Roman mit Zügen eines seichten Romans mit Kriminalsequenzen voll und ganz einlassen kann. Autor S. Jokinen versucht in die Rollen der Protagonisten zu schlüpfen, nimmt deren Part im Roman ein und das Lesen wird so zu einer Revue, besonders Kommissar Koskinen wird mit seinem Eigenwillen, seiner Sturheit und verschrobenen Art polarisieren. .
Autor Seppo Jokinen will mit seinem Krimi etwas erreichen, es geht ihm nicht ausschließlich darum, Spannungsliteratur zu schreiben, nein, er will aufklären, wachrütteln und Zustände an den Leser bringen. Er will Fragen beantworten, er will Dinge verstehen, er will das Gefühl der Isolation in einem Behindertenheim und das Leben als Rollstuhlfahrer an die Oberfläche holen, das versucht er durch seine Gefühls- und Ausnahmezustände, die die Charaktere in ihrem Roman auszeichnen.

Meinung:
Wie schon erwähnt, muss man sich in diesem finnischen Stil mit all den befremdlichen Namen, Straßen und Orten einfinden. Die Spannungsbögen sind eher seicht gehalten und es gibt wenige Spannungsspitzen. Dieser Krimi fließt eher dahin und bewegt, fesselt und beeindruckt eher durch die Ermittlungserkenntnisse und den Zuständen bis auf dem Weg zur Lösung. Loben möchte ich auch die Arbeit der Übersetzerin Gabriele Schrey-Vasara, denn ich habe schon aus anderer finnischen Literatur erfahren, dass es nicht leicht ist, dass an die Leser in deutscher Übersetzung zu vermitteln, was der finnische Ton anschlägt und vermitteln will. Doch hier wurde die Individualität des Autors gewahrt und in Ehren gehalten. Das ist wirklich ein großes Plus. Ich wurde bei diesem skandinavischen Krimi nicht enttäuscht, denn dieser Roman ist für sich einzigartig und besitzt ganz eigenen Charme und gleiche ausgiebige Recherche und Herzblut des Schreibers. Ich war aber auch vorgewarnt, dass die Literatur aus Finnland von besonderer Schwere und spezieller Note ist. Dieses Buch hat besondere Recherche, neue Kenntnisse, Intellekt, Anspruch und viele Facetten. Der Lesefluss war nicht ganz flüssig, denn die Art der Umsetzung und der besondere Stil dieses Autors ist für mich neu und bedarf ganz besonderer Muße. Wer sich diese Muße gönnt und in den Zeilen abtaucht, der wird ein Leseerlebnis mit allen Sinnen erfahren. Sprachlich gekonnt, und sehr beeindruckend. Die Gesamtumstände und die Ausmaße des Schicksals als Behinderter und die Folgen waren eher dass, was dieses Buch für mich zu einem Fesselnden und sensationellen Werk gemacht hat. Wäre hier bei den Spannungsmomenten die gleiche Intensität zu finden gewesen, so wäre es bestimmt ein 5 Sterne Buch geworden, aber so ziehe ich einen Stern aus der Bewertung ab.
Trotz der Schwierigkeiten für mich, dem hohen Niveau und den finnischen Akzenten stand zu halten, bin ich sehr begeistert von dem Buch und froh, diesen Schatz der Literatur gefunden zu haben. Ich bin schon ganz gespannt, für was für weitere Furore dieser Roman während und nach der Buchmesse im Herbst sorgen wird....

Charaktere:
Autor Jokinen hat einen Stil, der die Charaktere durch Eigenleben sehr lebendig wirken lassen soll. Mit dem eigensinnigen Hauptkommissar bin ich sofort warm geworden und mag seine kleinen Alltagsprobleme, mit denen er sich selbst im Wege steht. Die Zustände und das Gesamtumfeld haben mich sehr sehr tief mitgerissen und erschüttert. Die Einzelschicksale bildeten für mich eher Randgeschehen. Dennoch hat Autor S. Jokinen nicht nur die Macht und die Gewalt über die gewählten und genutzten Worte, nein, er hat auch die Macht, den Leser mit einer fesselnden und unter die Haut gehenden Geschichte durch all die getreu gezeichneten Rollen in ihrer Gesamtheit zu vereinnahmen. Jokinens Beweggründe werden dem Leser durch einzelne Gruppen, Zugehörigkeiten und Status klar und deutlich gemacht. Eine Behinderung verändert Menschen, die Folgen ziehen weite Kreise. Doch eines bleibt: Der Wunsch nach Selbstständigkeit und Freiheit. Sehr schmerzlich erfahren wir Leser, wie Betroffene, Angehörige und Freunde mit all diesen Umständen der Behinderung umgehen und versuchen für sich einen Mittelweg zu finden, der zum Scheitern verurteilt ist...Koskinen gibt trotz aller Auswegslosigleit nicht auf und recherchiert mit Akribie, bis sich seine Puzzleteile endlich erschließen, ein sagenhaft polarisierender und einprägsamer Hauptcharakter, den man gern in weiteren Fällen bei seinen Ermittlungen begleiten will.

Der Autor:
"Seppo Jokinen, Jahrgang 1949, ist einer der beliebtesten und renommiertesten Krimiautoren Finnlands. Er lebt in Tampere, wo auch sein Held Sakari Koskinen ermittelt. Nach einem vierjährigen Militärdienst arbeitete Jokinen lange Jahre im IT-Bereich. Seit Mitte der Neunzigerjahre erschienen zahlreiche Romane um den geschiedenen Kommissar. Seppo Jokinen wurde mit einer Vielzahl von Preisen bedacht, u. a. 2002 mit dem Finnischen Krimipreis für Gefallene Engel (Hukan enkelit). "

Cover:
Das Cover und der Titel haben ganz neuartigen Reiz auf mich ausgeübt. Das Cover ist nicht der typische Krimi, und es deutet schon hier an, dass man einen Krimi erleben wird, der eben nicht durch Blut und Metzelei bestechen soll. Eher ruhig und intensiv in der Kernaussage. Der Titel bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man dieses Buch gelesen hat. Welche, dass möchte ich hier noch nicht verraten. Zuvor läd der Titel zu Mutmaßungen und Assoziationen ein. Sehr gut und stimmig umgesetzt. Die Kapitel sind von angenehmer Länge, das Schriftbild ist harmonisch, das Buch von hochwertiger Qualität und liegt bequem in der Hand.

Fazit:
Ich bin schon ganz gespannt, für was für weitere Furore dieser Krimi-Roman während und nach der Buchmesse im Herbst sorgen wird....3,5 Sterne für diese Entdeckung!
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