Cover des Buches Der König, der Weise und der Narr (ISBN: 9783442150700)
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Rezension zu Der König, der Weise und der Narr von Shafique Keshavjee

Rezension zu "Der König, der Weise und der Narr" von Shafique Keshavjee

von rumble-bee vor 13 Jahren

Rezension

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rumble-beevor 13 Jahren
Ach, was war das schön! Mal wieder ein richtig geglückter, weil instinktiv erfolgter Griff nach einem Buch. Und gebracht hat es mir auch noch was! Das kann man wirklich nicht von vielen Büchern behaupten, erst recht nicht auf dem Gebiet der Spiritualität und Religion. In der Kurzbeschreibung des Verlages wird auf "Sofies Welt" Bezug genommen, und ich überlege gerade, ob ich diesen Vergleich für geglückt halte. Nein, eher nicht. Sicher, es handelt sich um ein als Fabel getarntes Sachbuch, also um viel Information, in eine ansprechende Handlung gepackt. Aber "Sofies Welt" hatte doch einen anderen Ansatz, nämlich einen wesentlich "enzyklopädischeren", weiter ausgreifenden. Das Verhältnis zwischen Rahmenhandlung und Information war auch anders; in diesem Buch hier würde ich sagen, dass es sich in etwa die Waage hält - und das habe ich bei der guten "Sofie" anders empfunden. Und drittens war ja "Sofies Welt" vor allem ein erzählerisches Experiment, wo mit den Ebenen von Realität und Fiktion gespielt wurde. Das fehlt hier völlig! Der Leser soll die geschilderte Welt erstmal ernst nehmen - oder doch zumindest als geschlossen ansehen. Worum handelt es sich denn überhaupt? Um eine Fabel, erfahren wir durch Verlag und Klappentext. Den Begriff finde ich nicht zu 100 Prozent geglückt gewählt, denn es kommen weder sprechende Tiere noch sonstige unerklärliche Handlungselemente vor. Eine Parabel, ja, so würde ich es eher nennen! Denn in der geschilderten Welt lässt sich ziemlich leicht eine Karikatur unserer heutigen westlichen Gesellschaft erkennen: ein Königreich, dem es offensichtlich gut geht, aber zu gut. Ein Volk, das scheinbar alles hat, aber unzufrieden wird. Kirchen gibt es zwar noch, aber sie werden als Restaurants oder Event-Stätten benutzt. Eine merkwürdig lethargische Stimmung liegt in der Luft. Ein König, der sich fragt, warum dem so ist. Und ein Weiser und ein Narr, die beide in derselben Nacht wie der König einen merkwürdigen Traum haben - woraufhin sie gemeinsam beraten, was zu tun sei. Das Ergebnis: "Mein Volk braucht eine Religion! Wir berufen einen Wettstreit der Religionen ein, und entscheiden uns am Schluss, welche wir wählen wollen!" Ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass am Schluss natürlich KEINE der im Buch erwähnten Religionen gewinnt. So etwas ist auch nicht der Sinn von solchen Büchern! Sehr hübsch gemacht ist aber die Schilderung des ganzen Wettstreits. Denn erstens kommen alle 5 großen Weltreligionen, nämlich Buddhismus, Hinduismus, Judentum, Christentum und Islam, gleichmäßig zu Wort, und sogar der Atheismus! (Was ich ausgesprochen fair und überzeugend fand.) Jeweils ein Vertreter, ein Abgesandter, erhält die Gelegenheit, einen Vortrag zu halten, und darf anschließend von den anderen befragt werden. So hat der Autor sehr geschickt eine ausgewogene Darstellung erreichen können, in der er auch nicht vor gängigen Kritikpunkten zurückscheut. Alle behandeln sich fair, und versuchen wirklich, den anderen so zu antworten, dass sie es auch verstehen können. Und auch wenn Kritik aufkommt, niemals geht es um plakative Verurteilungen. Sehr schön, nicht nur gut lesbar, sondern auch anrührend! Störungen gibt es natürlich, doch die treten vor allem durch die Rahmenhandlung auf. Das fand ich wiederum sehr geschickt gemacht! So wurde man als Leser nicht vom eigentlich Redefluss des gerade Vortragenden abgelenkt. Störungen kamen aus dem Publikum, oder vor oder nach den Vorträgen, durch diverse kleinere Fehden, und leider auch einen versuchten Anschlag. Doch es wird dem Leser absolut klar, dass dies niemals (!) von den Offiziellen ausging, sondern immer die Tat eines fanatischen Einzelgängers war. Im Gegenteil, zum Schluss hin wird sogar eine zarte Liebesgeschichte angedeutet, und zwar ausgerechnet zwischen einem Rabbi und der Tochter eines Scheichs, also eines Muslims! Ich habe schon ein wenig mit den Tränen gekämpft, als die schöne Amina am Krankenbett von David saß - und somit eine zarte Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern zumindest angedeutet wurde... hach!! Aber glaubt nun bitte nicht, es handele sich hier um Friede, Freude und den sprichwörtlichen Eierkuchen. Nein, auch für Stimmung und Atmosphäre ist gesorgt, und zwar durch die liebenswert-verschrobenen Nebencharaktere, den Narren und den Weisen. Der Narr tanzt nach einem geglückten Vortrag auch schon mal ganz gern wild über die Bühne, oder denkt nur ans Essen. Und der Weise ist - natürlich - derjenige, der als Erster ahnt, was ihre merkwürdigen Träume damals zu bedeuten hatten. Liebevoll gestaltet bis ins letzte Detail. Und was die faktische Richtigkeit der Darstellung betrifft - ich war hoch erstaunt, denn ich konnte bislang keinen einzigen Fehler finden, noch nicht einmal durch verkürzte Darstellungen oder Auslassungen! Sicher, nicht jede Religion konnte in all ihrer Breite dargestellt werden. Aber das machte der Autor dadurch wieder wett, dass er die jeweils Vortragenden auch gerne mal Gedichte oder Gleichnisse rezitieren ließ. Und das war ungleich aussagekräftiger als ein ellenlanger Vortrag! Was habe ich besonders über die jüdischen Witze gelacht! Und zum ersten Mal habe ich richtig verstanden, worin sich Hinduismus und Buddhismus denn nun unterscheiden - das war bislang mein großes Problem! Abgerundet wird das Buch dann auch noch durch eine kurze Darstellung der jeweiligen Religionen anhand einiger Einträge aus einem Lexikon einer Gesellschaft für interreligiösen Dialog (nach dem Ende der eigentlichen Erzählung), sowie ein Diagramm der Weltreligionen und ein recht gelungenes Literaturverzeichnis. wirklich eine runde Sache, dieses liebenswerte Buch, das ich guten Gewissens jedem empfehle, der auf unterhaltsame Art einen Einstieg in die wichtigsten Fragen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Weltreligionen sucht.
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