Cover des Buches Stranwyne Castle - Das trügerische Flüstern des Windes (ISBN: 9783863960094)
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Rezension zu Stranwyne Castle - Das trügerische Flüstern des Windes von Sharon Cameron

Trogwynde und andere seltsame Gestalten…

von Cridilla vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Da die Charaktere immer etwas kühl und außer Reichweite blieben, vergebe ich nur drei Sterne.

Rezension

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Cridillavor 9 Jahren

Über die Autorin:

Sharon Cameron lebt in Nashville, Tennessee. Wenn sie nicht gerade schreibt, stöbert sie gern in staubigen Historien-Wälzern, durchlöchert mit ihrem Langbogen Zielscheiben oder frönt ihrer lebenslangen Suche nach geheimen Durchgängen und Verstecken. "Stranwyne Castle" ist ihr erster Roman.

Kurz zum Inhalt:

Intrigen, Ränkespiele, Gerüchte … bei den Tulmans geht man nicht zimperlich miteinander um. Schon gar nicht mit einer vorlauten jungen Frau, von der man kaum noch hoffen kann, sie zumindest gewinnbringend zu verheiraten. Also wird Katharine vor die Wahl gestellt: Armenhaus oder sie erbringt den Beweis, dass ihr reicher Onkel, Frederick Tulman, verrückt geworden ist und das Familienvermögen zum Fenster hinauswirft. Was sie vorfindet, ist jedoch kein seniler alter Mann, sondern ein Exzentriker, der wahre Wunder vollbringt und eine surreale Welt geschaffen hat, die Katharine immer mehr in ihren Bann zieht. Wie die sturmgrauen Augen seines Assistenten Lane. Doch das Schicksal ist so trügerisch wie das Flüstern des „Stranwyne“, und plötzlich ist es Katharine, die um ihr Leben fürchten muss …

Seite 129f :

Wärme breitete sich in meiner Brust aus und erblühte wie eine Blume im Treibhaus. Ich wandte den Blick ab, entzog ihm meine Arme und versuchte, mein Gleichgewicht zu halten. Was dachte ich mir bloß? Hätten wir uns in London befunden, wäre diese Szene so unschicklich gewesen, das ich sofort meinen guten Ruf verwirkt hätte. Aber daran hatte ich hier überhaupt nicht gedacht. Stranwyne war ein ganz eigenes Reich, wie Lane zuvor bemerkt hatte, und die Regeln, denen der Rest der Welt unterlag, galten hier nicht. Ich spürte, wie sich meine Wangen rosa verfärbten bei dem Gedanken daran, was wohl meine Tante und Mrs Hardcastle zu diesem Thema zu sagen gehabt hätten. Und dann zog jemand an meinem Rock…

Sharon Camerons erster Ausflug in das Reich der Bücher, ist eine spannende Geschichte über die junge Katharine, die in die Ränkespiele nicht nur ihre Tante und ihren Onkel betreffend gerät, sondern auch so nebenbei in das Kriegsspiel zweier Länder, aber Letzteres ziemlich ungewollt und ohne ihr Zutun.

Eigentlich soll die junge Waise Katharine nur den Auftrag ihrer Tante Alice ausführen und ihren Onkel Frederick Tulman, der wohl für mehr als nur exzentrisch gilt, für unzurechnungsfähig erklären lassen und somit ihr eigenes weiteres Leben/Auskommen sichern, da ihr Dasein sehr von der „Güte“ ihrer Tante abhängt und auch gleichzeitig das „Tulman Erbe“ sichern, doch ihr unangekündigtes Auftauchen tritt eine Lawine von Umständen los, die nicht nur ihr weiteres Leben, sondern auch das Leben der Einwohner von Stranwyne betreffen.

Zunächst lernen wir also die noch 17jährige Katharine kennen, die Waise, und somit bei ihren nächsten Verwandten untergekommen ist, und ihrer Tante Alice in London die Haushaltsbücher führt, da sie mathematisch ziemlich gut mit Zahlen umzugehen weiß. Dann wäre da noch der eigenbrötlerisch scheinende junge Gehilfe ihres Onkels, Lane, der sich im Verlauf der Erzählung als sehr künstlerisch begabt entpuppen wird, ein scheinbar stummer kleiner verwahrlost anmutender Junge – Davy - die Tante von Lane, und ein paar weitere skurril gezeichnete Charaktere im namenlosen Dorf beim Schloß Stranwyne. Prinzipiell eine durchaus gelungene Grundvoraussetzung für die Zutaten eines spannenden Gruselschauerromans, aber irgendwie haperte es bei der Durchführung.

Ich bin immer auf der Seite unterdrückter Charaktere, die sich selber durch die widrigsten Umstände unbehindert durch das Leben kämpfen, um später frei auf eigenen Füßen zu stehen. Normalerweise, aber hier… Irgendwie blieben bei all der geplanten Arbeit, das Buch zu einem leidlich spannenden Finale zu bringen, die Figuren leider auf der Strecke. Katharine war nicht nur ihrer fremden neuen Umgebung kühl und unnahbar, sondern auch dem Leser. Lane schien immer nur vor sich hinzubrodeln, zu wüten aus irgendwelchen undefinierbaren Gründen, die nie ganz klar wurden. Zwar kann man eine voreingenomme Haltung Katharine gegenüber nachvollziehen, wenn man die Umstände betrachtet, unter denen sie im Schloß erscheint, aber das allein ist ein bischen dünn, für den dunkel grüblerischen Charakter Lanes. Ewig bleibt er unnahbar fast dauerhaft wütend ihr gegenüber und somit entzieht er sich der Identifizierung durch den Leser. Genauso Katharine, der einzige Charakter, der eigentlich kein Exzentriker ist, sondern eine wohl für die damalige Zeit noch nicht erkannte Form des Autismus hat, ist ihr Onkel Frederick, das technische Erfindergenie der Familie. Gerade durch seine Krankheit wirkt er so sehr fragil und verletzlich, daß er die menschlichste Figur des Romanes wird. Die täglich zeitlich begrenzten Abläufe, die sekundengenau für ihn eingehalten werden müssen, sind zwar äußerst ungewöhnlich, aber geben ihm, bei genauerer Betrachtung, die Sicherheit, die Frederick braucht um zu funktionieren und neue Gerätschaften entwickeln zu können. Auf dieser Basis nähert sich ihm seine Nichte und einige für sie bis dato geheimnisvollen Schleier um ihre Familie, wie ihren Vater, Fredericks Bruder, beginnen sich zu lüften. Das hat Katharine etwas auftauen lassen, ebenso die plötzliche kindliche Freude, die sie beim gemeinsamen – für diese Zeit wohl noch relativ unbekannten – Rollschuhlaufen mit Lane, an den Tag gelegt hat. Aber nur etwas. Wieder verfielen beide Charaktere ins grüblerische Brüten und Schweigen und einzig ein kleiner Junge, der noch eine große Rolle im späteren Verlauf haben wird, scheint Katharines Herz etwas zu erweichen.

Was noch durchaus schön, und dem Schauerromangenre dienlich war, ist die plötzliche „Schwäche“ Katharines, die wie aus dem Nichts auftaucht, und für einigen Wirbel sorgt. Immer wieder hat sie nächtliche Aussetzer, kann sich scheinbar an ganze Stunden nicht mehr erinnern und fügt sich selber unbewußt Wunden zu, die sie tags darauf einfach nicht erklären kann. Aber Mary, ihr neues Mädchen aus dem Dorf und deren Mutter sind wohl – wie auch alle Anderen – einhellig der Meinung, daß sie eine Trinkerin sei, obwohl Katharine nicht ein einziges Mal beim Trinken ertappt wird, geschweige denn, das sie etwas anderes außer den täglichen Tee mit ihrem Onkel, oder dem einzigen anderen männlichen Verehrer, Ben Aldridge, einnimmt. Was ihr aber hätte zu denken geben sollen…

Hier kam dann der Grusel des Schauerromanes richtig schön zur Geltung, nächtliche komische Geräusche, die Kapelle, die Katharine schon zu Beginn durchqueren mußte, und die ihr suspekt war, der unheimliche Trogwynd, der angeblich für alle seltsamen Vorkommnisse im Schloß und Dorf als Erklärung herhalten mußte, ihre scheinbar auf Alkoholmißbrauch zurückführenden stundenlangen Aussetzer und die unheimlichen Gerätschaften und mechanischen Roboter ihres Onkels, die fast jeden Raum im Schloß belegten, vom seltsamen überfüllten Uhrenzimmer einmal ganz abgesehen.

Die Konstruktion des riesigen Schlosses beruht ja – nach eigenen Angaben der Autorin – auf einem englischen Vorbild, dem Welbeck Abbey – was wohl in seiner interessanten Architketur und exzentrischen Bewirtschaftung schon zu seiner Zeit für einigen Aufruhr sorgte. Ein unterirdischer Tanzzsaal, durch eine Glaskuppel beleuchtet, eine unterirdische Bibliothek, ein Anwesen, was nur durch einen langen Tunnel erreichbar war, schon eine historische Eigenheit und Sensation. Und ein Schloßbewohner, der seine Angestellten zu häufigem Rollschuhlaufen anhielt, außergewöhnlich…

Im Nachhinein kann ich sagen, daß mir die Auflösung am ehesten gefallen hat, die angebliche Alkoholsucht, die sich doch als langsame Laudanumvergiftung entpuppt, die böse Tante, der der Garaus durch den äußerst seltsamen Anwalt von Frederick gemacht wird, die 180° Umschwenkung der Haushälterin, die niemals zuvor auf Katharines Seite war, und das tragische Ende von Davy, der in Katharines Vergiftung eine große Rolle gespielt hat, ihr aber auch zur Entdeckung ihres wahren Peinigers hilft und letztendlich die zarte Liebe, die zwischen Katharine und Lane aufkeimt, das alles führt zu einem fast atemlosen Finale, indem nur das Letztgenannte ein kleinwenig unglaubwürdig ist.

Definitiv ist dieser Young Adult Roman ein gelungener Schauerroman, dessen Intensität man sich nur schwer entziehen kann, wäre da nicht das Manko der unausgereiften Hauptprotagonisten, die hoffentlich in der Fortsetzung eine zum Besseren hin gemachte Entwicklung durchleben werden. Oder es lag ausschließlich an der Autorin und ihre Figuren mußten in ihrem Erstling erst das Laufen lernen. An der Übersetzerin kann es meines Erachtens nicht gelegen haben, hat Bettina Arlt es doch vortrefflich verstanden hat, die Geschichte im Stile des Viktorianischen Zeitalters zu erzählen, in der es jungen Frauen von Katharines Stand nicht gestattet war, mit einem Gentleman auch nur ansatzweise etwas alleine zu unternehmen, aber da die Gesetzte in Stranwyne so nicht mehr gelten…

Wann die Fortsetzung im Deutschen erscheinen wird ist nicht bekannt, aber auf Englisch gibt sie es schon. Wer Young Adult Grusel mit Schauerelementen der Gotik, skurrile Erfinder und eigenbrötlerische Gehilfen mit künstlerischem Geschick, seltsame Haushälterinnen und fiese Antagonisten zu schätzen weiß, der sollte sich hier wohl fühlen. Aber leider ein Stern Abzug durch die stets unterkühlt wirkenden Hauptprotagonisten.

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