Shirin ist Jesidin und lebt in einem kleinen Dorf ein behütetes Leben. Mit 17 ist sie fertig mit der Schule, ist heimlich in einen jungen Mann verliebt, den sie nur 1 x kurz sah und will Rechtsanwältin werden. Dann fällt der IS über das Dorf her, die Familie wird getrennt und zerstreut sich aufgrund äußerer Gewalt in alle Richtungen. Shirin wird an den ersten Ehemann verkauft und im Laufe ihrer Gefangenschaft an 7 weitere IS-Angehörige, bis ihr mit Unterstützung des letzten Ehemanns die Flucht gelingt und sie dank eines Hilfsprojekts wie viele andere jesidische Frauen auch nach Deutschland kommt.
Dies war nicht die erste Geschichte einer jesidischen Frau, die vom IS verschleppt und zwangsverheiratet wurde, aber leider eine, zu der ich am wenigsten Zugang fand. Was Shirin erfahren ist, ist ohne Zweifel entsetzlich und ein (bzw. mehrere) Verbrechen. Darüber muss man nicht diskutieren. Sehr interessant fand ich die Ausführungen am Ende des Buches, die die Zusammenhänge und Rahmenumstände erklären.
Niederschmetternd war für mich aber auch die mangelnde Reflexion der jungen Frau Shirin. Im Dorf war alles super. Die Eltern waren toll, die Geschwister toll, es gab nie Probleme. Nie hat ein jesidisches Mädchen aus dem Dorf einen Muslim geheiratet und nie sich außerhalb ihrer Kaste (neu gelernt: die Jesiden haben ein Kastensystem!) verliebt. Niemand wurde zwangsverheiratet. Alle waren immer glücklich und zufrieden. Mit der Familie zusammen zu sein war immer das Beste, Tollste, Schönste. Alle im Dorf waren gern mit ihren Familien zusammen. Es gab im Dorf nie irgendwelche Konflikte usw. Ist ja schön, wenn das wirklich so gewesen sein sollte - allein mir fehlt der Glaube. Shirins Wahrnehmung und Wiedergabe ihrer Kindheitserlebnisse im Laufe des Buches zeichnen eher das Bild einer jungen Frau, die nichts hinterfragt und sich ihre eigene rosa Welt von der Vergangenheit malt. Über den Tellerrand hinaus wird weder gedacht noch geschaut. Da ich das von anderen Jesidinnen schon ganz anders gelesen habe, hat mich diese mangelnde Reflexionsfähigkeit schon ziemlich schockiert.
Schockierend waren für mich auch andere Tatsachen, die darauf hinweisen, wie schwierig Integration und die Vereinbarkeit mit westlichen Werten sein kann und wird. Beispiele:
> Shirin wird bestialisch anal vergewaltigt - und ihr Umfeld ist total erleichtert, dass immerhin die Jungfräulichkeit noch intakt ist
> Shirin wird von einem Mann zum anderen weitergereicht, vergewaltigt und misshandelt - was sie beschäftigt, ist die Frage, ob sie noch zur jesidischen Community gehört und ob sie noch akzeptiert wird. Ihre Mutter kann sie da nicht trösten, sie ist vollkommen ratlos.
> Shirin ist so blamabel unaufgeklärt, dass sie sich erst bei ihrer Mutter vergewissern muss, ob so (durch Sex) Babys entstehen
> Shirin verbringt während ihrer "Ehen" viel Zeit bei ihrer Mutter, ihre Ehemänner geben sie dort für Stunden ab. Konstruktive Gedanken der Frauen zur desolaten Situation: Fehlanzeige. Psychologische Betreuung durch die Mutter, aufmunternde Worte: Fehlanzeige. Es wird nur darüber sinniert, dass Shirin zum Glück ihre Schwangerschaft beenden konnte und, wie gesagt, ob sie noch Jesidin sein darf.
Grundsätzlich sind sich die Jesidin und Muslime nicht so uneins, wenn es um das bestbehütete, ganz ganz wertvolle Jungfernhäutchen geht. Auch Jesiden verstoßen offenbar ihre Töchter, wenn das einzig Wichtige an ihnen durch Vergewaltigung abhanden Kommt (erwähnt auf Seite 318 des ebooks).
Interessant wird es dann in Deutschland. Ich verstehe völlig, dass dieser jungen, traumatisierten Frau die neue Umgebung große Angst macht und dass sie nur in der Gruppe hinaus gehen will, und dass sie - besonders in der ersten Zeit - in ihren Konventionen und Verhaltensweisen sehr gefangen bleibt. Es wird vermutlich sehr sehr lange dauern, bis erste, eigenständige Schritte in die fremde Welt möglich sind. Weniger Verständnis habe ich dagegen für Jalil, einen Jesiden, der schon länger in Deutschland wohnt und sich für Hilfsprojekte engagiert. Er erzählt schlichtweg falsche Dinge über das Land, in dem er wohnt und zu dessen Bevölkerung er wohl nie Zugang gefunden hat: "Auch über die deutschen Kinder hat er (Jalil) etwas gewusst. Sobald sie 18 Jahre alt seien, würden sie ihre Eltern vergessen." (Zitat) Aha. Jetzt kenne ich mich aus, danke für die Information.
Fazit: für mich war es ein Buch, dass Grausamkeiten durch den IS bestätigt, mir viel über die Jesiden verraten hat und mir aufzeigt, wie schwierig Integration und gegenseitiges Verständnis ist. Zwischen diesen Kulturen und der westlichen liegen Welten.




