Rezension zu "Der Hühnerdieb" von Shulamit Lapid
Es waren tödliche Schüsse. Präzise. Inspektor Awnar Rosen und seine Freundin Tami Simon sind tot. Rosen, Rosi von seinen Freunden – bald auch von Lisi Badichi – genannt, war für Lisi ein Ermittler, den man kennen musste, wenn man recherchierte. Dieses Mal will ihr Chef von „Zeit im Süden“ das volle Programm. Sie soll bei der Beerdigung alle befragen, Freunde, Familie, Kollegen. Und es sollen jede Menge Fotos gemacht werden. Ihr Chefredakteur will die Story ganz groß aufziehen. Dass Lisi als gewiefte Journalistin das schon längst selbst geplant hat, ist ihm nicht bewusst. Er meint immer noch – trotz all ihrer Erfahrung – dass er ihr den Weg weisen muss. Lisi nimmt’s hin.
Kurz vor der Abfahrt bittet sie ihr Schwager Benzi – ebenfalls Polizist – jeden, aber auch wirklich jeden, der an der Trauerfeier teilnimmt, zu dokumentieren. Denn der Mörder könnte sich nach Ansicht von Benzi unter die Trauernden mischen… Lisi wittert eine heiße Story und willigt ein, nachdem sie ihm das Versprechen abgerungen hat als Erste vollumfänglich über den Ausgang der Ermittlungen informiert zu werden.
Was ein Tag! Lisi kommt nach Hause. Sie ist fertig. Schließlich ist ein ranghoher Polizist gerade zu Grabe getragen worden. Licht an. Ab auf die Couch und den Tag ausklingen lassen. Man kennt das: Die Sonne geht unter, man selbst fährt Körper und Geist ebenfalls runter. Duschen, einen Happen essen und ab ins Bett. Doch plötzlich…
… plötzlich liegt da jemand auf der Couch. Und beschwert sich auch noch, dass der Kühlschrank leer ist. Wäre alles halb so schlimm, wenn der unangemeldete nörgelnde Gast nicht seit ein paar Stunden unter der Erde liegen sollte. Awner Rosen, Rosi, hat es sich auf Lisi Badichis Couch gemütlich gemacht! Nicht nur, weil Lisi Journalistin ist, besteht akuter Gesprächsbedarf!
Rosi erzählt ihr am nächsten Tag die ganze Geschichte. Er und Benzi hatten den Plan ausgeheckt. Ohne Lisi einzuweihen. Denn Rosi ist einer Organisation auf der Spur – Interpol hatte ihn um Hilfe gebeten – die mit Schmuggel Umsätze macht, von denen manche Staatshaushalte nur träumen. Lisi hat nun einen Toten als Untermieter. Einen Untermieter, der nichts in die Haushaltskasse einzahlt, weil Tote keine Taschen haben. Und sie muss schweigen, weil sonst der Erfolg der Ermittlungen mehr als gefährdet ist. Denn es geht um mehr als Kunstwerke von Chaim Soutine und Schriften von Alexander Skrjabin … um viel mehr…
Shulamit Lapid hat schon im ersten Lisi-Badichi-Fall ihrer Hauptfigur einzigartige Charakterzüge verliehen. Im zweiten Fall kann sie sich nun voll und ganz auf die Kriminalgeschichte konzentrieren. Und das mit Erfolg! Verworren und immer gradlinig lässt sie Lisi in eine Welt eintauchen, die nicht nur auf den ersten Blick abgrundtiefe Absurditäten aufweist. Es ist eine gefährliche Welt, auch für die wissbegierige Lisi Badichi. Und die muss sich nun auf die Hilfe eines Toten verlassen.