Cover des Buches Vielen Dank für das Leben (ISBN: 9783446239708)
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Rezension zu Vielen Dank für das Leben von Sibylle Berg

Vielen Dank für das Leben

von LiSi_liebt_books vor 11 Jahren

Rezension

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LiSi_liebt_booksvor 11 Jahren
Schon der Titel gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was auf den Leser zukommt. Es gibt im Grunde 2 Möglichkeiten, entweder ist es wirklich eine Hymne an die Schönheit, oder aber der Titel ist ironisch-sarkastisch gesetzt und deutet auf etwas tristes hin. Das Letztere trifft in diesem Falle auch zu, es handelt von der Welt, der Menschheit, dem Leben und der Gesellschaft, geschildert in zynischem und anmaßenden Schreibstil.
Dieser treffende Schreibstil, die Kritik an vielerlei Missständen und das Schicksal einer verachteten und vermiedenen Person schaffen es, ein einfach geniales Buch zu kreieren. Ein Buch, das Spuren hinterlässt, deutlich nachhaltige.


Nun zu der besagten Person, die ein bitteres Leben führen muss: Toto ist ihr bzw. sein Name. Ja, leicht verwirrend; es handelt sich hierbei um eine Art Zwitter, einen Hermaphroditen. Geboren neunzehnhundertsechsund-sechzig in der DDR; mit ihrer Geburt beginnt auch das Buch und fortlaufend wird über ihren Lebensverlauf erzählt. Das wahrlich kein Zuckerschlecken ist, sie erwartet ein Leben voller Qualen, ein Leben, in dem sie schikaniert und ihres Äußeren wegen voller Ekel und Abscheu schief angeguckt wird. Das Schlimmst an der ganzen Sache ist jedoch, dass sie es ziemlich kalt lässt, sie empfindet nicht wirklich Schmerzen dabei. Und dieser Charakterzug ist das Einzigartige an Toto: Sie nimmt alles hin, was man ihr antut, entschuldigt das Verhalten der Bösen mit deren mitgenommenen Zustand und empfindet höchstens Mitleid mit den Menschen. Es stimmte nicht, dass Toto nichts gewollt hatte, ..., aber viel lieber hatte sie immer die Welt, in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes auf ihr, zu einem freundlichen Ort gemacht (S.350). Ihre Seele ist beispiellos und so rein, damit bildet sie einen deutlichen Kontrast zu dem Rest der Menschheit, zu den im Verlaufe des Buches auftretenden Charakteren, die fast ausnahmslos alle etwas Böses, Verdorbenes und Unreines in sich tragen. Das krasseste Beispiel wäre Kasimir, eine wichtige Figur, die mal mit Toto im einem Kinderheim zusammen war. Jahre später taucht er wieder auf und verfolgt das Ziel Toto auf schlimmste Weise zu verletzen, indem er sie zuerst in ihn verliebt macht und daraufhin abserviert. Ein komischer Kauz, der nahezu an Wahnsinn leidet, nein er hat eindeutig eine Wahnsinnskrankheit, so sadistisch wie er ist.
Im Verlauf der Handlung begegnet Toto immer wieder verschiedenen Figuren, nicht nur in Deutschland, auch in Fernen Osten. Durch diese Figuren lässt S. Berg einen Blick in deren Leben und schildert ihr gescheitertes Leben, ihre Träume (oder verloren gegangene) und karikatisiert deren Charakter, der oftmals deutlich an moralischem Wert mangelt.

In dem tristen Leben von Toto gibt es jedoch einen kleinen Funken, an dem sie sich erfreuen kann: nämlich das Singen. Ihre HIngabe zum Singen hat mich tief berührt, ich fand es einfach schön, wie sehr Toto sich das Singen ans Herz legte.
Doch geht ihr dieser kleine Glücksfunke auch bald abhanden, nachdem ihr Gesang bei einer Aufnahme in eine Musikschule mit Spott und enttäuschenden Worten kommentiert wurde.
Am Ende ist sie von Kasimir schließlich physisch als auch psychisch zugrunde gerichtet, und wandelt angeschlagen als Obdachlose umher. Schließlich landet sie am Ende in einer Art Pflegeheim, wo sie in dem Rest ihres Lebens zu der wunderbaren Musik zurückfindet, die die anderen Mitbewohner in ihren Bann zieht.

Neben den kläglichen Zuständen der Menschen hat Sybille Berg es auch geschafft, ein äußerst kritisches Bild der politischen Zustände zu vermitteln.
Begonnen mit dem Kommunismus in der DDR, darauffolgend der Kaptialismus und schließlich eine Politik wie sie in der Zukunft aussehen könnte, eine sehr graue, aber auch durchaus realistische. Alle drei Richtungen haben den Versuch einer guten Politik nicht erfüllen können, was Berg hervorragend mit ihrem schwarzen Humor unterlegend schildert. Die einzelnen Epochen und deren Missstände werden in drei Zwischenspännen näher beschrieben (ohne Toto), die für mich persönlich als die besten Passagen des Buches gelten.

Insgesamt muss ich leider eingestehen, dass es ziemlich an Spannung für mich fehlte. Jedoch machen die unübertreffliche Wortgewandtheit und die zynische Betrachtung und Kritik unserer Welt alles Negative wieder wett.
Wer also zumindest in Ansätzen realistisch ist oder einen ziemlich unbefriedigenden Eindruck von der heutigen Welt hat und nicht viel von dem heutigen Zustand unserer Welt hält, sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen!
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