Cover des Buches Apostoloff (ISBN: 9783518461808)
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Rezension zu Apostoloff von Sibylle Lewitscharoff

Rezension zu "Apostoloff" von Sibylle Lewitscharoff

von Wolkenatlas vor 14 Jahren

Rezension

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Wolkenatlasvor 14 Jahren
Herrlich Sybille Lewitscharoffs Roman „Apostoloff“ ist ein herrlich inkorrekter, sprachlich einfach brillanter und unterhaltender Roman. „Rumen Apostoloff möchte uns die Schätze Bulgariens zeigen. Meine Schwester und ich wissen es besser: solche Schätze existieren nur in den bulgarischen Hirnen. Wir sind überzeugt, Bulgarien ist ein grauenhaftes Land – nein, weniger dramatisch: ein albernes und schlimmes.“ Die Ich-Erzählerin (nicht zu verwechseln mit der Autorin) ist mit der Schwester unterwegs in Bulgarien. Nach Bulgarien sind sie als Teil eines skurrilen Trauerzuges gekommen, der vom vermögenden Tabakoff organisiert, den Zweck erfüllt, seine längst im Exil verstorbenen Freunde mittels einer neuen Bestattungsmethode auf Sofias Zentralfriedhof zu einem letzten Zusammensein zu führen. Freunde, die in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nach Stuttgart ausgewandert sind. Die beiden Reisen werden mittels Erzählung und Rückblende virtuos ineinander verschoben und am Ende zu einem Punkt gebracht. Die beiden unterschiedlichen Schwestern erkunden Bulgarien, und ihre Reaktionen könnten teilweise nicht unterschiedlicher sein. Die vorne bei Rumen sitzende Schwester ist brav, lieb, diplomatisch, verführerisch und setzt die Waffen einer Frau gekonnt ein, während die den Rücksitz vorziehende Ich-Erzählerin wie eine Ziehtochter von Thomas Bernhard über Bulgarien, die bulgarische Geschichte und die Bulgaren herzieht, ohne dabei stilistisch je an Thomas Bernhard zu erinnern. Das ist teilweise politisch relativ inkorrekt und liebevoll provozierend, was aber, da die Autorin nie auf vordergründigen Effekt setzt, weder reißerisch, noch vordergründig wirkt. „Rumens verzweiflungsvolle Versuche anzuknüpfen erregen mein Mitleid. Ob wir die Mosaiken genauer betrachtet hätten? Das Gold? Da habe man Elemente der Ikonentradition aufgeriffen und verarbeitet, auch Muster von liturgischen Gewändern künstlerisch umgedeutet. Damit er sich weniger ängstigt und sich an seinem Ärger festhalten kann, widerspreche ich in gewohnter Weise, wenn auch im Tonfall etwas schlapp: Ja, die sind besonders scheußlich, man sollte den Bulgaren das Mosaikenlegen ein für allemal verbieten. Sie können es einfach nicht.“ Sehr treffend straft Sybille Lewitscharoff die korrupte Polizei und Politik Bulgariens ab und zeigt die Absurdität der neureichen Bulgaren, die sich zusammen mit dem Porsche begraben lassen, oder sich eine kleine Statue auf dem Grabstein gönnen, an deren Hand nun die goldene Rolex funkelt. Dass der seit vielen Jahren tote Vater immer wieder quasi in Erscheinung tritt, passt wunderbar in diesen schwarzen „Road-Roman“. Und so verbirgt sich hinter diesem unterhaltenden Roman auch so etwas wie ein Entwicklungsroman, denn die drei Hauptprotagonisten machen während dieser Reise unerwartet unterschiedliche Entwicklungen durch. Auch die teilweise böse keifende Hauptprotagonistin sieht am Ende auch die schönen Seiten Bulgariens. „Heute vormittag bleibt uns noch Zeit, um wenigstens eines der berühmten Plovdiv-Häuser aufzusuchen. Wie dumm, dass wir nicht früher hergefunden haben. Kleine Paläste von ingeniöser Anlage sind zu besichtigen. Allein die Innenhöfe mit ihrer Steinpracht laden zum Bleiben ein, überall stehen Pflanzenkübel, aus denen es mit einer Verzweiflung blüht, als wären unser aller Tage gezählt. Von außen nach innen, vom Schutzraum des Hofes in die Privatsphäre des Hauses vollzieht sich der Übergang wie in Traumwandelei. Welch ein Feinsinn. Was für eine Harmonie zwischen gehegter Natur und Architektur.“ Rumen Apostoloff, der seinem Bulgarien treue Fahrer, hat es nicht leicht mit den beiden Schwestern. Während er die eine Schwester anziehend findet, leidet er unter den ständigen Sticheleien der vom Rücksitz aus schimpfenden Schwester. Seine Versuche, die Ehre Bulgariens und der Bulgaren zu retten, sind schöne, traurige Versuche, die beiden bulgarischstämmigen Schwäbinnen zu bekehren. Sprachlich beeindruckend und herrlich unterhaltend, ist es eine wahre Freude, diesen Roman zu lesen.
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