Inspiriert durch ihren Großvater, der als junger Leutnant im deutschen Schutzgebiet Tsingtau, einer deutschen Kolonie in China, bei der kaiserlichen Marine diente, hat die Autorin ihr späteres Studienfach Sinologie gewählt und sich eingehend mit der chinesischen Kultur auseinandergesetzt. Sie hat sogar das damalige Tsingtau, heute trägt es den Namen Qingdao, besucht und noch viele koloniale Bauten der damaligen Zeit vorgefunden. Hier entstand die Idee zu diesem Roman, der mich sehr gut unterhalten hat, auch weil er viele authentische Erlebnisse und Personen enthält.
Der Roman spielt noch vor dem ersten Weltkrieg, nämlich 1910, in der damaligen deutschen Kolonie Tsingtau, das das deutsche Kaiserreich 1898 dem chinesisches Kaiserreich für 99 Jahre vertraglich abgepresst hatte.
Hierhin kommt die junge Ärztin Marie, um ihren Vater, der dort stationiert ist, zu besuchen und seine neue Heimat kennenzulernen. Schnell zeigt sich, dass das deutsche Schutzgebiet und seine Bewohner, den Chinesen unterschiedlich gegenüber stehen. Viele Ansässige haben Chinesen als Angestellte, was auch für die Chinesen Vorteile hat, doch von einem Miteinander kann keine Rede sein. Wie in vielen Kolonien der damaligen Zeit, sehen sich die Besetzer als die Herren des Landes an, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Menschen und ihre Kultur zu nehmen. Man lebt das deutsche Leben im Schutzgebiet, als wenn man in keinem fremden Land wäre und bringt den Einwohnen rassistische Gefühle entgegen. Marie, die als eine der wenigen Frauen in Deutschland Medizin studiert hat, kommt ohne Vorurteile in dieses Land und ist fasziniert von der Kultur, aber wird auch abgestoßen durch das Verhalten einiger Deutschen in diesem Gebiet. Schnell findet sich eine Aufgabe für sie im Missionskrankenhaus in Tsingtau, da chinesische Frauen sich nicht von Männern untersuchen lassen. Ihr macht die Arbeit sehr viel Spaß, aber je mehr sie in die Kultur dieses Landes hineinschaut, je mehr wird ihr bewusst, dass sich dieses riesige Land vor einem großen Umbruch befindet. Es kommt immer wieder zu Unruhen durch junge Leute, die versuchen das Kaiserhaus zu stürzen und eine neue, moderne Politik im Land zu etablieren. Dabei spielt ihnen das Verhalten der Deutschen in ihrem Land häufig zu, denn auch wenn der Boxeraufstand schon mehr als 10 Jahre her ist, sind die Gefühle der Chinesen den Fremden in ihrem Land gegenüber nicht besser geworden. Hingerissen zwischen Tradition und Moderne, versucht das Land einen Weg in die Zukunft zu finden und wie es bei Aufständen häufig ist, werden dabei viele Menschen verletzt oder sogar getötet.
Als Marie herausfindet , dass ihr Lehrer Du Xündi, der sie in Chinesisch unterrichtet, den Unruhestiftern angehört, bringt nicht nur er sich in Gefahr, sondern auch Marie, die besondere Gefühle für diesen Mann hegt. Doch am Ende muss sich Marie entscheiden, wem sie ihr Herz schenkt.
Ich finde, der Autorin ist dieser Roman sehr gut gelungen. Einerseits erfährt man sehr viel über diese uns fremde Kultur und über das Leben der Deutschen im Schutzgebiet Tsingtau zur damaligen Zeit, andererseits hat Sybille Spindler ihre Geschichte sehr spannend und unterhaltsam gestaltet, indem sie die Aufstände der Chinesen und eine Liebesgeschichte in die Geschichte mit eingebunden hat. Marie, die Hauptperson dieses Romans ist zwar eine sehr erfolgreiche und moderne Frau, sowohl von ihrer Einstellung her, als auch dadurch, dass sie eine akademische Ausbildung hat, was zu damaligen Zeiten noch sehr selten war, doch ich gehe mal davon aus und hoffe auch, dass es schon solche Vorreiterinnen für die weiblichen Interessen gab, denn die Suffragetten hatten ja auch schon in Deutschland Fuß gefasst. Insofern fand ich die Figur auch nicht Fehl am Platz, sondern bin ihrer Geschichte interessiert gefolgt. Was in diesem Buch auch sehr gut dargestellt wird, sind die Auswirkungen des Kolonialismus.
Das rassistische Gedankengut und das Herrscherverhalten mancher Personen in diesem Buch, wurden sehr realistisch beschrieben.
Für einen Debütroman muss ich der Schriftstellerin schon Anerkennung zollen, denn dieses Buch ist wirklich gut gelungen, wahrscheinlich auch durch ihre ausgiebige Recherche, die man dem Buch auch anmerkt. Ich bin gespannt auf weitere Bücher dieser Autorin und werde sie weiterhin im Blick behalten.