Cover des Buches Der Mann im Strom (ISBN: 9783939716600)
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Rezension zu Der Mann im Strom von Siegfried Lenz

Recht oder Unrecht?

von Herbstrose vor 9 Jahren

Rezension

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Herbstrosevor 9 Jahren

Hinrichs ist Taucher, ein guter, erfahrener Taucher. Beinahe zwanzig Jahre ist er hinabgestiegen in das trübe Hafenwasser und hat dort seine gefährliche Arbeit verrichtet. Jetzt ist er arbeitslos, angeblich zu alt um noch zu tauchen. Doch Arbeit ist genug da, im Hafenbecken müssen die Wracks beseitigt werden. Und Hinrichs will arbeiten, ignoriert den Druck auf dem Herzen und will die Beklemmung, die er in der Tiefe verspürt, nicht wahrhaben. Außerdem braucht er das Geld, hat er doch seine schwangere Tochter und seinen Jungen zu ernähren. So sieht er nur einen Ausweg, eine letzte Chance. Er fälscht seine Papiere, macht sich jünger. Zunächst mit Erfolg, er bekommt die ersehnte Arbeit. Doch als er dann als Vorarbeiter bei einer Bergung in Schweden eingesetzt werden soll, eskaliert die Situation …

Ein zeitkritisches, und auch heute noch brandaktuelles Thema, das Siegfried Lenz in seinem dritten Roman „Der Mann im Strom“ bereits 1957 behandelt: Das Altwerden im Beruf, die Probleme, als älterer Mensch noch eine Arbeit zu finden. Alte werden trotz Erfahrung ausgemustert, Junge unerfahrene werden bevorzugt. Zitat: „Ja, Junge, es war wieder nichts“. (lässt Lenz den Taucher zu seinem Sohn sagen) „Sie brauchen überall Leute heutzutage, sie können nicht genug bekommen, aber sie wollen alle nur jüngere haben. Den Jüngeren brauchen sie weniger zu zahlen, das ist das Entscheidende. Wenn sie einen Alten einstellen, dann müssen sie ihm mehr geben, dann können sie ihm weniger sagen, und vor allem wissen sie nicht, wie lange ein Alter noch bei ihnen bleibt. Bei einem Alten ist zuviel Risiko, der rentiert sich nicht genug.“ --- "Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man zum alten Eisen geworfen wird.“

Der Roman spielt in den Nachkriegsjahren in Hamburg. Der Wiederaufbau ist allgegenwärtig, aber auf dem Grund des Hafenbeckens und im Strom liegen noch die Wracks vergangener Bombardierungen. Vorherrschend ist eine bedrückende Grundstimmung, von Aufschwung und Wirtschaftswunder ist noch nicht viel zu spüren. Der Schreibstil ist nüchtern und sachlich und lässt sich, obwohl nicht mehr ganz zeitgemäß, nach einigen Seiten recht gut lesen. Erfreulich wenige Figuren bevölkern den Roman, doch diese sind sehr gut heraus gearbeitet, sie leben. Lenz spielt mit gegensätzlichen Charakteren: Manfred, der verschlagene und kriminelle Freund der Tochter, Kuddl, der hilfsbereite und freundliche Arbeitskollege, dann der verständnisvolle und korrekte Chef und nicht zuletzt unser Protagonist Hinrichs, der zwischen allen Fronten steht. Der Leser fühlt förmlich die Zwangslage und die Ausweglosigkeit, in der er steckt. Er würde gerne ehrlich und rechtschaffen bleiben, doch er braucht die Arbeit um seine Kinder zu ernähren. Er sieht den einzigen Ausweg und seine letzte Chance darin, seine Papiere zu fälschen und sich deswegen strafbar zu machen. Dadurch entwickelt die Geschichte eine unheimliche Spannung, die durch die beklemmenden Unterwasserszenen im trüben Hafenbecken noch gesteigert wird. Man hofft für Hinrichs, dass alles gut geht, ahnt aber bereits, dass das wohl nicht der Fall sein wird.

Fazit: Ein lesenswerter Roman, sozialkritisch mit einem immer noch aktuellen Thema, bei dem der Leser sich am Schluss die Frage stellt, wie er selbst wohl gehandelt hätte.

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