Cover des Buches Der Hass der Liebenden (ISBN: 9783717522126)
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Rezension zu Der Hass der Liebenden von Silvina Ocampo

Rezension zu "Der Hass der Liebenden" von Silvina Ocampo

von Wolkenatlas vor 13 Jahren

Rezension

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Wolkenatlasvor 13 Jahren
Mord in einem abgelegenen Hotel an der argentinischen Atlantikküste "Der Hass der Liebenden" ist der einzige gemeinsame Roman des schillernden argentinischen Schriftstellerehepaars Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares. Der in den 1930er-Jahren entstandene Kriminalroman ist ein Musterbeispiel der damals noch jungen Gattung des Kriminalromans. Ob Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares Agatha Christies ab 1920 veröffentlichte Romane mit Hercule Poirot als Protagonisten zum Zeitpunkt der Entstehung von "Der Hass der Liebenden" kannten, sei dahingestellt, der Protagonist dieses Romans könnte jedoch Hercule Poirots argentinischer Zwillingsbruder sein. Abgesehen davon weist dieser Roman eine weitere Ähnlichkeit mit Agatha Christies Romanen auf. Eine in sich geschlossene Gesellschaft, die in einem Hotel zwar nicht eingeschneit, aber durch einen Sandsturm abgeschnitten die Nachwirkungen eines Mordes erlebt. Ocampo und Casares tauchen die Krimihandlung jedoch in eine äußerst wirksame surrealistische Tinktur und erreichen so, dass die Konzentration auf den kriminalistischen Verlauf fast zur Nebensache wird. Zum Personal dieses Romans gehören der misanthropische Dr. Humbero Huberman und die Schwestern Emilia und Mary, die eine Musikliebhaberin, die andere Krimiübersetzerin. Auch die unterschiedlichen männlichen Begleiter der Schwestern sind locker in das Geschehen verwickelt, der eine, Dr. Cornejo, der freundliche Gesichtszüge und immerhin profundes Wissen über Meteorologie hat, und der andere, ein eher junger und dunkelhäutiger, in seiner Ausdrucksweise und Erscheinung vulgär, der natürlich nicht besonders geistreich auf Dr. Huberman wirkt. Auch ein mysteriöser Junge, Miguel, ist mit von der Partie. Das Hotel wird von Hubermans Vetter Esteban und seiner Frau Andrea geführt. Das Anwesen selbst ist ein im Sand versinkendes Gebäude, dessen Fenster sich durch die von außen angewehten Sandmassen nicht mehr öffnen lassen und mit einem Kellergeschoss, das wie eine Art Gruselkammer vom Feinsten scheint. "Wir waren in diesem Haus eingeschlossen wie in einem Schiff am Meeresboden oder, genauer gesagt, wie in einem U-Boot, das sich in den Grund gebohrt hat. Ich hatte das Gefühl, die Luft verringere sich auf beängstigende Weise. Überall fühlte ich mich derart unwohl, dass es im Zimmer der Toten auch nicht schlimmer sein konnte." Knapp vor dem Mord erleben alle Hotelgäste ein surreal-absurdes Abendessen, das darin gipfelt, dass Mary Emilia gegen ihren Willen zum Musizieren zwingt. Mit bewusst dramatischer Geste inszenieren Ocampo und Casares in der Mordnacht einen sich permanent steigernden Sturm, der von gegen die Wände peitschendem Regen begleitet wird. Am Ende des Sturms steht der lapidar formulierte Satz: "Am nächsten Morgen war Mary tot." Nun verschwindet der somit als verdächtig geltende Miguel, und das Duo Raimundo Aubry, der Kommissar und Doktor Cecilio Montes, der Polizeiarzt, betritt die Szene. Interessanterweise hat das Duo Aubry - Montes keine Probleme, das Hotel zu erreichen. Aus dem Duo wird mit Dr. Huberman rasch ein Trio, das sich in endlos scheinenden, durch viel Essen und Trinken begleiteten Gesprächen dem Versuch widmet, des Rätsels Lösung zu finden. "Der Hass der Liebenden" ist ein Kriminalroman der vornehmen Haltung, der seine Charaktere oft steif, lachhaft und fast wie Karikaturen wirken lässt. Es ist auch ein Roman der Anspielungen, die großteils durch Fußnoten aufgeklärt werden. Und so ist man bald vom Absurden dieses Roman gefesselt, der sich des Kriminalromans locker bedient, um ein geistreiches, witziges Spiel mit den hier bereits klischeehaft lächerlichen Formeln einer noblen Mörderjagd zu inszenieren. Über den Ausgang dieser Mörderjagd schweigt der Rezensent im Interesse der Leser bewusst ... (Erstveröffentlicht auf www.sandammeer.at, Roland Freisitzer; 01/2011)
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