Rezension zu "Die Dunkelheit in den Bergen" von Silvio Huonder
Johann Heinrich von Mont erfüllt seine neue Aufgabe mit Stolz und Sorgfalt, aber auch mit Sorge: Als Verhörrichter und Polizeidirektor in Chur setzt er Recht und Ordnung um - allerdings stehen ihm nur zwanzig Landjäger zur Verfügung, und das in einem Zuständigkeitsbereich, der 150 Täler umfasst, vier Dutzend Gerichtsgemeinden, drei Grenzen zum Ausland und mit Deutsch, Rumantsch und Italienisch drei gängige Landessprachen. Als ihm während der Übergabe seiner neuen Kutsche in der Viehhandlung Hostetter ein grausamer Mord gemeldet wird, der umgehend untersucht werden muss, hat er Personalprobleme. Alle Landjäger sind irgendwo im Kanton beschäftigt.
Kurzerhand bittet er zwei heimkehrende Söldner um Hilfe, den Sohn des Viehhändlers, Linus Hostetter, und dessen Freund Karl Rauch. Mit ihnen macht er sich auf den Weg nach Bonaduz und beginnt mit den Ermittlungen.
Von Mont und seine neuen Gehilfen sind Figuren mitten im Umbruch, in vielerlei Hinsicht. An ihnen dokumentiert sich der Aufbau einer unabhängigen und zentralen Polizeigewalt. Vielerorts dominieren einflussreiche Familien die Geschicke und diese möchten ihre Kompetenzen und Gewohnheiten freilich nicht abtreten. Nicht zuletzt, weil sie sich ohne Kontrollen Gesetze im Zweifelsfall zurecht biegen konnten.
Im Umbruch ist auch der Kanton selber: Chur ist erst seit dem Vorjahr Kantonshauptstadt mit zunehmendem Verkehr: "Jeden Tag drehte sich die Welt ein wenig schneller. ... Die Straße über den Sankt Bernharden war nun für Kutschen befahre, sechs Meter breit. ... Der Ausbau der Julierstraße hatte im letzten Jahr begonnen. Wenn man daran dachte, wie schnell man von Chur aus in die Welt gelangte, konnte einem schwindelig werden. In vierundzwanzig Stunden war man in Zürich! In zweiunddreißig Stunden in Bellinzona! Unruhige Zeiten."
Der Dreifachmord in Bonaduz ist gut dokumentiert und nach wie vor in der Gegend bekannt. Huonder kennt sie noch aus seiner Kindheit, während der die Mühle oft sein Spielplatz war. Nach umfangreichen Recherchen in alten Akten hat er daraus den Roman erarbeitet. Einen sehr spannenden, denn Umfeld und Aufklärung ergänzen sich ausgezeichnet. Rauch und Hostetter arbeiten sehr auf sich alleine gestellt, zumal sie mangels Uniform nicht als Landjäger erkannt werden. Improvisation ist gefragt. Von Mont wiederum arbeitet mit einem Stil, in dem man "klassische" Polizeiarbeit erkennt, mit Hilfe von Verhören und Protokollen und nicht bereit, Schuldzuweisungen aus Bequemlichkeit übers Knie zu brechen.
Huonder erzählt nicht ausschweifend und kunterbunt, sondern konzentriert, vielschichtig und immer fesselnd. Obwohl man die Täter genau kennt, ist es eines der Bücher, die man nicht aus der Hand legen mag.