Rezension zu "Trautes Heim" von Simon Konttas
Was Sigmund Freud nicht schaffte, wird wohl selbst Simon Konttas nicht gelingen. Nämlich die Frage zu klären „Was will die Frau?“.
Die Protagonistin seines Romans weiß es selber auch nicht. Konttas legt die einprägsame und anschauliche Lebensbeichte einer Frau ab, die in sich selbst – in Anspielung auf den und als Kontrast zum Titel - lange keine Heimat findet. Prägend werden für sie toxische Beziehungen, die unter weitgehender Selbstverleugnung ertragen werden. Die Paare bleiben einander stets durch Äußerlichkeiten oder Neurosen verbunden und mögen damit als Musterbürger, als Pars pro toto gelten für eine – unsere – Gesellschaft, die in ihrer narzisstischen, konsumgedrillten Nabelschau unentwegt Verliebtheit mit Liebe, Sündenböcke mit Lebensgefährten und Triebbefriedigung mit Intimität verwechselt. Durch alle Widrigkeiten hindurch schildert uns die Protagonistin Anna in einer Art Rückschau und quasi aus der Perspektive eines Ego-Shooters sowohl ihren künstlerischen Werdegang und persönlichen Lebensweg als auch – jetzt wird’s geil – ihre charakterliche Reifung anhand sexueller Erfahrung inklusive Phasen suchtähnlicher Selbstbefriedigung.
An dieser Stelle werden nun die linksfaschistoiden Gender-Ideologen aufheulen in ihrer überaus woken (was immer das bedeuten mag) Dauerempörung, wenn ich erkläre, dass es überhaupt gar keine Rolle spielt, ob ein männlicher Autor eine weibliche Protagonistin beschreibt (oder umgekehrt), auch wenn man natürlich alles zum Problem erklären wenn man, wie diese Chef-Ideologen, selber voller Probleme steckt. Davon unberührt bleibt als Essenz, dass Konttas durch seine nachvollziehbare, einfühlsame, klare, ausdrucksvolle Sprache ein Meisterwerk gelungen ist! Ein großer literarischer Wurf! Nicht weil nicht hochgestochen intellektualisierend oder gar moralisierend, sondern weil schlichtweg gut und eingängig erzählt. Manche Passagen und Formulierungen würden einem Ransmayr – Sprachvirtuose wie je einer – zur Ehre gereichen. Den schwülstigen Liebesbrief eines Selbstverliebten kann man zum Höhepunkt des Textes und dem unvergleichlich abgrundtiefen Horvat-Zitat „Du entgehst meiner Liebe nicht!“ gleichwertig erklären. Zu einem künftigen Klassiker, einem literarischen Kleinod von Weltrang erkläre ich ihn jedenfalls schon jetzt!
Bei etlichen Gelegenheiten delektiert man sich an den unaufdringlichen Pointen eines feinen, unterschwelligen Humors, den man sich an manchen Stellen vielleicht sogar eine Spur galliger, zynischer vorstellen könnte, doch wer den Autor kennt, weiß, dass er dafür zu gutmütig ist. Deshalb sind es bei aller Hinterfotzigkeit zumeist auch seine Figuren.
Das Ende kommt etwas abrupt, wirkt offen, weder kitschig noch happy. Nach der Lektüre wünscht man sich, dass es in der einen oder anderen Form einen Ableger oder thematischen Nachfolger gäbe, denn das ist ein Buch, mit dem man sich so wohl fühlt wie in einem trauten Heim.