Es handelt sich bei "Zwischen Welten" um eine Art Briefroman, der aktueller nicht sein könnte: Stefan, der stellvertretende Chefredakteur der "größten Zeitung Deutschlands" trifft seine ehemalige Kommilitonin und Mitbewohnerin Theresa zufällig an der Hamburger Außenalster wieder. Nach 20 Jahren Funkstille. Theresa ist damals einfach aus der gemeinsamen Wohnung verschwunden.
Theresa hat den Hof des verstorbenen Vaters in Brandenburg übernommen und lebt so ein komplett anderes Leben wie Stefan.
Stefan "macht" Meinung mit seiner Zeitung und Theresa kämpft mit ihrem Hof ums Überleben.
Nach dem zufälligen Treffen, welches mit einem großen Streit endet, beginnen die beiden, eine Kommunikation per WhatsApp / Telegram und Mail.
Stefan verbringt sein berufliches Leben damit, gegen den Klimawandel, gegen Rassismus und Sexismus zu kämpfen. Leider verwechselt er meiner Meinung nach das Schreiben über diese Themen und das Verwenden von Gendersternchen mit echter Haltung.
In den Gesprächen der beiden geht es oft um Aktionismus oder echter Haltung, über die Zeitung, die Meinung gestaltet anstatt neutral zu berichten oder eben um die real existierenden Probleme von Theresa und ihren bäuerlichen Kollegen in Brandenburg.
Im Laufe der Zeit sieht Stefan immer mehr ein, dass es falsch ist, wenn Medien ihre Macht missbrauchen, um Meinungen zu beeinflussen und sogar zu "machen".
Und da wird sie wieder erwähnt, die vierte Gewalt, deren eigentliche Aufgabe es ist, die anderen drei Gewalten zu kontrollieren. Theresa fragt nach: "Wie wollt ihr das machen, wenn ihr selbst eine Agenda habt?" oder sie stellt fest: "Aktivismus ist das Gegenteil von Neutralität und damit das Gegenteil des journalistischen Auftrags".
Stefan sieht das inzwischen auch so, lässt sich aber immer wieder von Angeboten der Führungsebene der Zeitung einlullen, Erfolg und Angepasstheit sind ihm unglaublich wichtig.
Und vor allem ist er unglaublich unstet. Er will sich nie festlegen. Echte Haltung hat er also keine.
Theresa schlittert mit ihrem Hof von einer Katastrophe in die nächste, glaubt nicht mehr daran, dass die Politik ihr helfen kann oder gar helfen will und radikalisiert sich extrem. Stefans Warnungen will sie nicht mehr hören: "Die Wohlstandsgesellschaft will keine Revolution. Sie will bei LIDL Schnäppchen shoppen."
Auch sie läuft hier leider den falschen hinterher und hat vor allem überhaupt kein Schuldbewusstsein (es sind immer alle anderen Schuld) und das alles nimmt kein gutes Ende.
Manchmal musste ich das Buch zur Seite legen, weil es einfach nur anstrengend war, diesem dauernden Gezank der beiden zuzuhören. Es ist, als würde man den ganzen Tag einem Streitgespräch auf Facebook folgen. Furchtbar!
Dann aber konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen. Es ist unglaublich aktuell, es beginnt am 05. Januar 2021 und endet am 04. Oktober des gleichen Jahres. Es nimmt den Krieg gegen die Ukraine mit, die Ängste um einen weiteren Weltkrieg, die Energiekrise und eine Schweinepest gibt es natürlich auch.
Und ja, ich war hin und her gerissen zwischen Stefan und Theresa, mal konnte ich ihm zustimmen (Genau, so ist das!) und dann wieder Theresa (Mist, sie hat auch irgendwie recht).
Sehr spannend, aber nicht ganz einfach zu verdauen. Meines Erachtens ein tolles Buch, ich bin aber eh ein großer Juli Zeh Fan.