"Die lichten Sommer" von Simone Kucher ist ein anspruchsvoller und berührender Roman über die Folgen von Vertreibung und Flucht.
Erzählt wird hauptsächlich die Geschichte zweier Frauen, Mutter und Tochter.
Elisabeth, genannt Liz, kommt zu Beginn der Fünfzigerjahre in einem kleinen süddeutschen Dorf zur Welt. Wie alle ansässigen Frauen arbeitet sie schon als Jugendliche tagsüber in der Fabrik, abends hilft sie im Wirtshaus der Eltern. Sie ist das Kind von Geflüchteten, die nach Kriegsende aus der ehemaligen Tschechoslowakei vertrieben wurden. Liz darf keine Ausbildung machen, träumt von einem anderen, besseren Leben. Sie heiratet jung und trägt immer noch die Last der Vergangenheit in sich, ein generationenübergreifendes Trauma.
Die Charaktere sind sehr authentisch und lebendig beschrieben, die Geschichte sehr berührend.
Besonders gelungen fand ich auch, wie die Autorin historische Ereignisse mit den persönlichen Geschichten ihrer Figuren verbunden hat.
Die Rückblenden und Perspektivwechseln machen die Geschichte besonders lesenswert und anspruchsvoll. Man kann sich genauso gut in Liz hineinversetzen wie in ihre Mutter Nevenka, wenn sie aus ihrer Kindheit in der Tschechoslowakei erzählt.
Vieles wird aber auch nur angedeutet, hier hätte ich mir Noch eine Vertiefung gewünscht, besonders was Nevenkas Vergangenheit angeht.
Insgesamt hat mir das Buch aber sehr gut gefallen und ich hoffe, von Simone Kucher wird man in Zukunft noch mehr lesen!
"Und kann doch nicht sagen, was sie denkt, was ihr jetzt klar wird, was sie unterscheidet: Wenn Liz etwas verantwortlich machen müsste für ein Unglück, dann wäre es immer etwas das von innen kommt, aus ihr selbst heraus. Nie etwas von außen: die Umstände, andere Menschen und schon gar nicht die Natur.
Sie setzt erneut an und verstummt. Diese Stimme, mit der sie sprechen könnte, singen. Das, was da aus ihr herauskam, war einfach nicht gut genug. Daran lag es, nicht an den Zahlen."
"Liz rutscht unruhig auf ihrem Stuhl herum, beim ersten Mal völlig überrumpelt, beim zweiten Mal schon gefasster. Warum bleibt sie denn so stumm? Lässt sich das einfach so gefallen? Ist sie schon zu weich geklopft von diesem täglichen Kampf. Sie kämpft doch jeden Tag, oder nicht? Seit Jahren. Immer schon. Und warum kann sie nicht einfach sagen: Nein, ich bin verdammt noch mal kein Flüchtling. Ich bin genauso wie du auf dieser stinkenden Erde hier geboren. In Baracken zwar, aber eindeutig hier, schleudert sie in Gedanken die Worte durch die Luft. Und fragt sich erstaunt: Ab wann ist man denn ein Ansässiger?"