Rezension zu "Nanga im Winter" von Simone Moro
Simone Moro spurt in großen Fußstapfen den Berg hinauf: 1895 hatte der britische Ausnahme-Alpinist Albert Frederic Mummery den ersten Besteigungsversuch unternommen. Er ist nie zurückgekehrt. In den 1930er Jahren hatten die deutschen Spitzenbergsteiger den Nackten Berg für sich entdeckt. Mehrere aufwändig organisierte Expeditionen endeten tragisch. Der Nanga Parbat forderte ein ums andere Todesopfer. Selbst der Erstbesteiger Hermann Buhl wäre beinahe am Berg geblieben, nachdem er eine Horrornacht in großer Höhe zu bestehen hatte. Günther und Reinhold Messner hatten 1970 erstmals die bis dahin undurchstiegene Rupalwand gemeistert und den Nanga Parbat überschritten. Während Günther beim Abstieg von einer Lawine verschüttet worden war, vollbrachte es Reinhold acht Jahre später, als erster Mensch am Nanga Parbat, einen Achttausender im Alleingang zu besteigen.
Welche Herausforderungen sind also noch übrig für einen Spitzenalpinisten wie Simone Moro, der zum Zeitpunkt von Messners erstem Gipfelerfolg am Nackten Berg (Nanga Parbat auf Deutsch) gerade einmal drei Jahre alt gewesen ist (Moro ist Jahrgang 1967)? Die Antwort ist sein Buchtitel: Nanga im Winter.
Das Wetter ist ein entscheidender Faktor beim Bergsteigen. Insbesondere das Höhenbergsteigen ist ein Saisonsport. Weil die Gipfelchancen ohnehin nicht besonders groß sind, wählen die meisten Alpinisten den Frühsommer für ihre Expeditionen. Simone Moro hat sich als besondere Herausforderung eine Winterbesteigung des Nanga Parbat vorgenommen (und geschafft). Sein Bericht von diesem Vorhaben (und dessen Vorgeschichte) hat das Zeug, ein moderner Klassiker der Alpin-Literatur zu werden. Obwohl der Untertitel mit dem traditionellen Bergsteiger-Pathos flirtet – „Eine Geschichte von Ehrfurcht, Geduld und Willenskraft“ – ist das Buch eine eher sachliche Chronik des langen Weges zum Gipfel des Nanga Parbat. Sachliche Chronik? Klingt das nicht wie trockene Tagebuchkost, die lieblos redigiert und zwischen Buchdeckel gepresst worden ist? Mag sein. Aber der Eindruck trügt: Simone Moro verleiht seiner Schilderung eines solch extremen Abenteuers die nötige Vehemenz, ohne in unglaubwürdige Übertreibungen zu verfallen.
Es ist wichtig, das Scheitern nicht zu verschweigen – Moro steigt sogar damit ein –, um den tiefen, inneren Antrieb zu verstehen, dem Menschen folgen, wenn sie in die Todeszone steigen. „Das Glück ist nicht das Ziel, sondern der Weg, den jeder von uns für sich wählt oder auf dem man sich befindet“, schreibt Moro, „und dem man sich mit einem Lächeln stellen sollten, anstatt ihn als Strafe zu empfinden.“