Cover des Buches Lied ohne Worte (ISBN: 9783717522102)
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Rezension zu Lied ohne Worte von Sofja Tolstaja

Rezension zu "Lied ohne Worte" von Sofja A. Tolstaja

von Clari vor 14 Jahren

Rezension

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Clarivor 14 Jahren
Weltenleid und Liebesglück! Mit einem Nachwort von Natalja Sharandak versehen und übersetzt von Ursula Keller erscheint der nachgelassene Roman von Sofja Tolstaja über das Leben einer Ehefrau im Russland des 19. Jahrhunderts jetzt zum ersten Mal. Unschwer hat die Autorin ihre eigene Ehe zum Vorbild genommen, sich vieles von der Seele zu schreiben, was ihre langjährige Ehe mit Lew Tolstoi ausgemacht und in langen Jahren belastet hat. Es handelt sich hier um Sascha, die mit dem Provinzbeamten Pjotr Afanassjewitsch verheiratet ist. Er ist ein gutmütiger aber wenig einfühlsamer Mensch. Nach dem Tod der geliebten Mutter ist Sascha niedergeschlagen und verzweifelt und fühlt sich ganz und gar verloren in der Welt. Als sie in ihrem Sommerhaus vom Nachbarn Melodien von Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ hört ,verliert sie ihren Kummer und sieht sich getröstet und glücklich. Unvergleichlich sind die poetischen Betrachtungen der als feinsinnig beschriebenen Frau in der Natur und beim Rauschen eines Baches. Sie begegnet ihrem Musiknachbarn bei einem Spaziergang an diesem Bach und ist freudig bis schamhaft erregt. Die Stille und Ruhe, die von der Schilderung des Lebens und den Umständen der Zuneigung von ihr zu dem Musiker ausgeht, ist von bestrickendem Zauber. Sätze wie diese: „ nur der Bach mit seinem eintönigen leichten Murmeln unterbrach die Stille“..... bieten Einblicke in eine ruhige Landschafts- und Seelenschau, wie sie nur das 19. Jahrhundert hervorbringen konnte. Das Glücksgefühl, das Musik im Menschen auszulösen vermag, ist in der herrlichen Beschreibung enthalten, in der .....“die wüste, peinigende Verzweiflung über die Vergänglichkeit und das menschliche Leben, das so voller Leiden, Verführungen und Übel war, sich löste“.... und ....“alles wurde klar wie der Himmel nach einem Gewitter“....... Wie schon in „Eine Frage der Schuld“ werden von der Autorin Sofja Tolstaja Frauenbilder geschildert, die zart, sensibel und ätherisch den schönen Künsten zugetan und mit grobschlächtigen und wenig empfindsamen Männern verheiratet sind. Parallelen zu Sofjas eigener Ehe mit dem in ihren Augen egoistischen Tolstoi klingen an. Sofja hat gegen den Widerstand ihres Mannes ihren eigenen geistigen Fähigkeiten und Interessen gelebt. In ihren Niederschriften findet sich das Bild der schöngeistigen und sensiblen Frau wieder, die sich neben den eigensüchtigen Ehemännern zu behaupten trachten. In ihren Romanen bleiben diese Frauen zarte und feinfühlige Gestalten. Sie befinden sich weit entfernt von rabiaten Emanzipationsstrebungen heutiger Zeiten und scheinen durch Beharrlichkeit und schwärmerische Begeisterung sich von ihren Ehemännern weg idealisierten Künstlern in platonischer Liebe zuzuwenden. Dass ihr hier die Geschichte entgleitet und zu einem tragischen Ende führt: wer weiß, wie weit sich Sofja Tolstaja in ihrer Protagonistin wiedergefunden hat? Die Autorin beweist mit diesem kleinen Roman erneut ihr Talent, das hinter dem großen Schatten ihres Mannes ganz verloren gegangen war. Poetisch, feinsinnig und von Gefühlsüberschwang beflügelt ist ihr ein kleines romantisches Meisterwerk gelungen, das jeden Literaturliebhaber begeistern müsste.
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