Rezension zu "Alles geben" von Neven Subotić
„Neven Subotić ist für mich der außergewöhnlichste Spieler, mit dem ich je zusammegerabeitet habe. Nicht fußballerisch, aber menschlich.“ (Jürgen Klopp)
Der Haupttitel klingt nach einem der üblichen Fußball-Promibücher: „Alles geben“. Im Epilog stellt der Ex-Bundesligaprofi Neven Subotić (u. a. FSV Mainz 05, Borussia Dortmund, 1. FC Union Berlin) jedoch klar: „Nein, ich gebe nicht alles! Alles geben ist eine Illusion, das Ideal, das mich jeden Tag aufstehen lässt und antreibt.“
Die ungewöhnliche Geschichte des Neven Subotic, von ihm erzählt und der Journalistin Sonja Hartwig (ZEIT, SPIEGEL) mit Edelfeder geschrieben, beginnt in Schömberg am Rande des Nordschwarzwalds. In diesem kleinen Ort wird seine Familie Anfang der 90er Jahre nach der Flucht vor dem Jugoslawienkrieg herzlich aufgenommen. Bis der zehnjährige E-Jugendspieler Neven kurz vor dem geplanten Wechsel auf’s Gymnasium mit seinen Eltern und seiner Schwester die neue Heimat verlassen muss. Der Aufenthaltsstatus bzw. die „Duldung“, wie es so bürokratisch heißt, wird nicht verlängert.
Der 16. Juni 1919, an dem der Flieger in die USA nach Salt Lake City abhebt, ist für den Jungen „der erste spürbar einschneidende Tag meines Lebens.“ In Amerika, wo er beim Fußball im Park Freunde und Zugehörigkeit findet, geht der ewige Kampf um’s Geld („weil wir zu wenig davon hatten“) weiter, auch die schwierige Emanzipation von seinem getriebenen, nie zufriedenen Vater. Neven, der talentierte US-Jugendnationalspieler, kehrt 2006 nach Deutschland zurück, während seine Familie noch in den USA bleibt. Beim FSV Mainz 05 lernt der junge Subotić Jürgen Klopp kennen. Dass der stets gesetzte Stammspieler im Sommer 2008 nicht zur TSG Hoffenheim wechselt, liegt an „Kloppo“, wie seine Spieler den Nahbaren nennen dürfen. Der spätere Welttrainer lotst den 1,94 großen 19jährigen Innenverteidiger vor dessen Vertragsunterschrift beim Kraichgauer Bundesliga-Aufsteiger zu seinem neuen Verein Borusssia Dortmund.
Der 19jährige Neu-Borusse ist gleich in seiner ersten BVB- Saison an der Seite des gleichaltrigen Mats Hummels Stammspieler und schießt in den ersten vier Spielen drei Tore. Der große Mentor Jürgen Klopp im Vorwort: „Wenn in England heute jemand Kinderriegel sagt, wissen alle noch: Unter diesem Namen wurde unsere Dortmunder Abwehr mit Mats Hummels und Neven Subotić bekannt.“ Das jüngste Innenverteidiger-Paar gilt bald als das beste in der Bundesliga.
Subotićs neues Leben als umworbener Fußballprofi, der nichts anderes als die Karriere, Zocken auf der Playstation, eine Villa im Nobelviertel, attraktive Frauen, Luxusautos, teure Markenklamotten und Kumpel-Urlaube in Dubai im Kopf hat, mündet in eine tiefe innere Krise. Zur Leere kommt der Druck, wie eine Hochleistungsmaschine funktionieren zu müssen. Er treibt gerade die vom Verein als „unverzichtbar“ erklärten Schlüsselspieler an die Kortisonspritze. „Gib mir ‚ne Ibu!“ gilt als gängiger Satz in der Kabine.
Im Kapitel mit dem Titel „Check“ rechnet Subotic mit seinem Leben als Fußballprofi radikal ab. Das Geld fließt wie aus einem aufgedrehten Wasserhahn. Doch aus dem Rausch des Haben- und Genießenwollens wird für den zweifachen Deutschen Meister ein Albtraum der Leere. Im selben Jahr 2012, in dem er mit Borussia Dortmund den DFB-Pokal gewinnt, gründet der serbische Nationalspieler die Neven Subotić Stiftung. Sein neues Leben nach der Fußballkarriere ist für ihn das, was sein Ziehvater Jürgen Klopp so beschreibt: „Eine Erfolgsgeschichte! Viel höher zu bewerten als alles, was er vorher gemacht hat. Aus einem ganz normalen jungen Menschen wurde jemand, der eine höhere gesellschaftliche Verantwortung spürt als jeder andere, den ich kenne.“
Sprudelte einst das Wasser aus dem Geldhahn, widmet er sein Geld nun dem Wasserhahn der Neven Subotić Stiftung. Fußballer-Initiativen wie „Common Goal“, deren Mitglieder ein Prozent ihres Gehalts für soziale Projekte spenden, siehtr er skeptisch: „Was ist ein Prozent, wenn jemand eine Millon bekommt? In der Bundesliga verdienen die meisten Bundesligaspieler mehr als das. Bei einem Prozent von einer Million wären das 10.000 Euro. Ist das nicht beschämend?“
Seit 16. 11. 2012 gibt es offiziell die Neven Subotić Stiftung. Die Verwaltungskosten von jährlich 400.000 Euro finanziert der unermüdliche Gründer aus eigener Tasche. Der erste Brunnen wird 2013 in Mozambique gebaut. Inzwischen sind es knapp 500 Brunnen und Sanitäranlagen vor allem in Äthiopien, Tansania und Kenia. Dank dieser Stiftung, die eng mit lokalen NGO-Organisationen zusammenarbeit, haben über 180.000 Menschen in Afrika Zugang zu sauberem Wasser. Doch 785 Millionen Hilfsbedürftigen weltweit ist dieses Menschenrecht noch verwehrt. Der Klimawandel mit seinen immer krasseren Naturkastastrophen und Dürreperioden verschärft die Dramatik weiter. Dabei ließen sich durch sauberes Wasser, Sanitäranlagen und Hygiene, die drei Grundlagen der humanitären Hilfe, nach WHO-Standard kurz WASH genannt, Millionen Todesopfer vermeiden, die Lebensgrundlagen und Bildungschancen von Millionen Menschen, insbesondere der Kinder, deutlich verbessern.
Der 34jährige Neven Subotić, der sein enormes Wissen auch aus vielen Büchern schöpft, kann nicht alles geben. Aber er will der Beste für eine gerechtere Welt sein, der er sein kann. Er will mit seiner Stiftung und seinen lokalen Partnern vor Ort noch viele Brunnen bohren, Brunnen für das überall fehlende Wasser, Brunnen für das Leben im bitterarmen Afrika! Am Ende resümiert der ehemalige Fußballprofi: „Ich weiß nicht, was man in meiner Geschichte alles lesen kann. Vielleicht ist es für einige so was wie ein Geständnis: So war ich! Vielleicht ist sie für andere eine Kritik am kapitalistischen Fußballsystem, während ich den Fußball weiter sehr liebe. Vor allem aber sollte meine Geschichte sein: ein Aufruf, ein Appell!“ Dieser flammende Appell ist dem einstigen Kinderriegel mit seinem außergewöhnlichen Buch eindrucksvoll und hoffentlich nachhaltig gelungen!
Joseph Weisbrod
Info: Neven Subotić & Sonja Hartwig: ALLES GEBEN – Warum der Weg zu einer geerchtere Welt bei uns selbst anfängt. 2022. 272 Seiten. Mit Abbildungen. Gebunden. 22 Euro (E-Book 18,99 Euro). Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.