Was, wenn Dein Kind sich systematisch selbst zerstört?
Diese Frage stellte sich Bestsellerautorin Sonja Vukovic (32), als sie vor zwei Jahren ihr erstes Kind zur Welt brachte. Erst nach der Geburt ihrer Tochter verstand sie, was ihre eigene Mutter wohl mit ihr hatte durchmachen, welch tiefen Schmerz sie erleben, und mit wie viel Scham und Schuldgefühl sie wohl hatte kämpfen müssen – denn Sonja Vukovic litt selbst 13 Jahre an Bulimie und Anorexie. Ihre Kranken- wurde zur Heilungsgeschichte, die die Berlinerin 2016 mit ihrer Autobiografie „Gegessen – wer schön sein will muss leiden, sagt der Schmerz“ veröffentlichte. „Man kann es schaffen“, war die mutmachende Botschaft dieses Buchs. Doch was, wenn man es gar nicht in der Hand hat? Was, wenn nicht man selbst, sondern das eigene Kind an einer totbringenden Abhängigkeit leidet? Mit „Außer Kontrolle“ liefert Vukovic sieben aufrüttelnde Porträts von Eltern, die ein Kind an eine Sucht verloren haben – einige Geschichten fanden ein glückliches Ende. Andere endeten in der Katastrophe.
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Viele Eltern fühlen sich gefordert und ratlos: Das Internet nimmt immer mehr Raum im Leben ihres Kindes ein, Kiffen und sogar Essstörungen scheinen heutzutage ganz normal zu sein, Alkohol ab 13 kein Grund mehr, sich aufzuregen. Aber was ist noch liberal, was fahrlässig? Wie viel Autorität muss sein? Welche Verbote machen es schlimmer? In ihren Fallgeschichten lässt Vukovic Menschen zu Wort kommen, die keine Lobby haben und fast nirgendwo Gehör finden: Väter und Mütter suchtkranker Kinder. Sie zeigt das Leid der Familien - und wie sie heilen.
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ZITATE der Eltern aus „Außer Kontrolle“:
Ich habe sie dann ein paar Tage später vormittags aus der Klasse geholt, sie ins Auto verfrachtet, die Türen verriegelt und sie am Flughafen in einen Flieger nach Zypern gesetzt.
Direkt aus dem Unterricht in ein neues Leben.
Dann bin ich nach Hause und habe tagelang geweint.
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Ich fühlte mich schrecklich hilflos, weil einfach niemand an ihn rankam. Am aller wenigsten ich. Ich sah, wie es mit ihm immer mehr bergab ging – und konnte scheinbar so wenig machen.
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Laslo wurde immer dünner und blasser. Und er stank. Aus seinem Zimmer stank es. All mein Reden, mein Schimpfen, meine Sorgen verhallten. Laslo sperrte mich aus seinem Leben aus.
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Eines Tages, als ich sein Zimmer betrat, um doch noch mal ein Gespräch zu suchen, bekam ich einen regelrechten Schock: Die Teller und Tassen türmten sich, er verließ den PC nicht einmal mehr, um Geschirr wegzuräumen. Es gab sogar Essensreste mit Schimmel, auf dem Tisch, auf dem Boden, im Abfalleimer. Aber am schlimmsten war sein Anblick.
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Ich wusste, was sie macht, bringt sie um.
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Die absolute Hilflosigkeit hat mich immer härter werden lassen. So, wie ein Schutzpanzer, der immer härter werden muss, weil er die vielen Einschläge einfach nicht mehr erträgt.
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Ich habe ständig darüber gesprochen, dass Lea sich mit den Drogen umbringt, denn nichts Anderes bedeutet es ja. Aber selbst, als ich in dieser Nacht neben ihrem Krankenbett auf der Intensivstation stand und sie an Geräte angeschlossen daliegen sah, habe ich nicht daran gedacht, dass sie wirklich sterben könnte. Selbst nicht als die Ärzte sagten: „Die Chancen stehen nicht gut!“
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Wie sehr wünsche ich mir, dass ich als Mutter noch einmal eine Chance bekommen hätte, alles besser zu machen. Ich, mit meinem Verhalten ihr gegenüber. Und die Lehren, die ich draus gezogen habe.
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Wir sind alle Opfer und Täter - Das hat mir unheimlich geholfen, als mein Sohn das zum ersten Mal zu mir sagte. Denn ich gebe mir an allem die Schuld. Dabei auch zu bedenken, dass auch ich ein Opfer bin, dass wir Vieles einfach selbst nie gelernt und manches dann ungewollt weitergeben haben, das hat mir sehr geholfen.
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Ich wollte ihn einweisen. Ich dachte, der dreht komplett durch. Er ist eine Gefahr für sich und für andere.
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Oft verdächtigte ich sie, dass sie wieder was genommen hat, manchmal sicher auch zu unrecht. Und wenn sie dann doch wieder beichtete, dann hat mir diese Gewissheit das letzte bisschen Hoffnung geraubt, dass mein Kind noch zu retten war.
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Es stimmt schon, ich habe oft gedacht: Nur einer von uns beiden überlebt das alles. Und dann: Ich will nicht diese Überlebende sein.
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Ich glaube ganz fest daran, dass man auch Menschen, die man liebt, nicht zu ihrem Glück zwingen kann. Dass man an einem bestimmten Punkt loslassen muss.
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Sicher, als Eltern meint man, man sitze am längeren Hebel. Wenn es zu viel wird, nimmt man einfach die Batterien aus dem Gameboy oder zieht den PC-Stecker raus und droht: „Wenn du nicht aufhörst, bekommst du dein Taschengeld gestrichen.“
Aber das ist leicht gesagt.