Allen, die hinter diesem irreführenden Titel ein Sachbuch über introvertierte Menschen vermuten, werden enttäuscht werden. Vermutlich ist dieses Buch der Ausfluss aus einem Blog der Autorin, bei dem sie nicht vorhatte Introversion wissenschaftlich zu erklären. Vielmehr wollte sie wohl zeigen, dass Introvertierte nicht selten sind, obwohl sie sich oft so vorkommen. Introvertierte werden sich in den vielfältigen Beschreibungen von Situationen, Gefühlswelten und Denkweisen, die man in diesem Buch findet, wiedererkennen. Das mag etwas Beruhigendes in solchen Menschen erzeugen, denn das Gefühl anders zu sein und nicht verstanden zu werden, kann mitunter sehr verwirrend sein.
Die Autorin schafft also Verbundenheit und versichert Introvertierten, dass sie nicht krank oder in irgendeiner Weise fehlerhaft sind. Leider wird die Welt von Extrovertierten beherrscht. Sie gelten als normal, durchsetzungsfähig und robust. Aber vor allem bilden sie den Maßstab, selbst in der Psychologie. Die Autorin zitiert aus Studien, deren Ergebnis feststand bevor man sie überhaupt durchführte. Die Verhaltensweisen von Extrovertierten als normal anzunehmen, macht die Introvertierten zu Außenseitern, die man eventuell auch noch behandeln muss.
Aber Introversion ist keine Krankheit, sondern eine völlig normale Verhaltensweise, die von anderen nicht begriffen wird, weil sie dazu introvertiert sein müssten. Nun macht es die Autorin ihren Kritikern leicht, indem sie auch noch alle Introvertierten als hochsensible Menschen einstuft. Wahr ist wohl, dass Hochsensible introvertiert sind, aber umgekehrt gilt das in dieser Absolutheit mit Sicherheit nicht.
Vielmehr ist die Wahrnehmungsfähigkeit bei Introvertierten in der Regel viel weiter entwickelt als bei extrovertierten Menschen. Daraus ergibt sich einfach, dass das Gehirn von Introvertierten viel schneller ermüdet, weil es einfach viel mehr Informationen aufnehmen und verarbeiten muss als das bei anderen der Fall ist. Introvertierte können das nicht steuern, während extrovertierte Menschen so viel mit sich selbst und ihrer Außendarstellung zu tun haben, dass sie anderes oft ausblenden.
Natürlich sind nicht alle introvertierten Menschen gleich, und natürlich besitzt Introversion Abstufungen. Nicht alle Introvertierten sitzen nur beobachtend herum, auch wenn sie gerne alleine sind und sich mit den Dingen intensiv befassen, die sie interessieren.
Dem Buch gelingt es ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu schaffen, was wohl auch das Ziel des vorausgegangenen Blogs war. Es will keinesfalls Introversion umfassend erklären. Introversion ist ebenso normal wie Extroversion, auch wenn wir in einer Welt leben, die von Extrovertierten dominiert wird. Leider schafft es die Autorin nicht, sich kurz zu fassen. Vieles wiederholt sich. Aber: Für extrovertierte Menschen, die vielleicht einen introvertierten Partner oder Freund haben, ist dieses Buch auf jeden Fall ein Augenöffner.
Vermutlich war es auch so gedacht. In diesem Sinne möge man meine Bewertung verstehen. Dies ist kein Sachbuch, sondern eher eines, das Brücken bauen möchte. Und das macht es gut.
Sophia Dembling
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Sophia Dembling
Die Macht der Stille
The Introvert's Way: Living a Quiet Life in a Noisy World (Perigee Book)
Neue Rezensionen zu Sophia Dembling
Viele Menschen, die man früher schnell als schüchtern, ungesellig oder gar gehemmt gemieden oder über die man sich lustig machte, erfahren mit den relativ neuen psychologischen Ansatz der Hochsensibilität endlich die Anerkennung, die ihnen zusteht.
Über zwei Drittel von ihnen sind zusätzlich das, was man introvertiert nennt. Für die Außenwelt kaum zugänglich, haben diese Menschen aber etwas, was die Autorin des vorliegenden Buches „die Macht der Stille“ nennt. Das sind spezielle Eigenschaften und Stärken, die extrovertierten Menschen fehlen und für die diese keine Antennen haben.
So sind introvertierte Menschen besonders aufmerksame und einfühlsame Zuhörer in Gesprächen, sie können Zwischentöne wahrnehmen, die andere übersehen und sie geben sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontakt ihrem Gegenüber das Gefühl, in seiner Ganzheit wahrgenommen zu werden.
Dieses Buch soll introvertierten Menschen helfen, diese Macht der Stille in sich wahrzunehmen, als einen Schatz anzuerkennen und zu achten. Wenn sie erkennen, dass es gerade diese Züge sind, die sie lange selbst an sich verachtet haben, die sie einzigartig machen, dann können sie sie als Stärken einsetzen im zwischenmenschlichen Kontakt und dennoch immer achtsam mit sich selbst umgehen.
Es geht nicht darum, dass sich introvertierte Menschen verändern, sondern darum, dass sie die ihnen innewohnenden Ressourcen erkennen und wertschätzen. Mit dem dadurch gewachsenen Selbstbewusstsein wird es ihnen gelingen zu ihrer Besonderheit zu stehen, die zu verstehen und vor allen Dingen zu nutzen, für sich und andere zum Segen.
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