Die Idee hinter Die Töchter des Nordens klang vielversprechend: Eine dystopische Zukunft, in der Frauen sich von der männlich dominierten Gesellschaft abwenden und versuchen, unabhängig zu überleben. Ein feministisches Setting, das Fragen nach Freiheit, Gemeinschaft und Widerstand stellt – und dann noch die Auszeichnung der Times, die es zu einem der „100 besten Bücher des Jahrzehnts“ zählt. Das klang nach einer tiefgründigen und literarisch hochwertigen Dystopie. Leider konnte das Buch diese Erwartungen für mich nicht erfüllen.
Der Anfang ist durchaus spannend. Die Welt, in der die Protagonistin lebt, ist geprägt von strengen Kontrollen, eingeschränkten Rechten für Frauen und einer repressiven Regierung. Dass sie sich diesem System entziehen will, macht sie sofort interessant. Doch als sie schließlich zur abgelegenen Frauengemeinschaft in den Bergen gelangt, bleibt vieles erstaunlich oberflächlich. Man erfährt zwar, dass diese Frauen sich selbst versorgen, militärisch organisiert sind und ihre eigenen Regeln aufgestellt haben – doch über ihre Gedanken, Gefühle und das Miteinander innerhalb der Gruppe erfährt man wenig. Die Figuren wirken oft blass, und es entsteht keine emotionale Tiefe, die das Buch wirklich fesselnd machen würde.
Hinzu kommt, dass die Sprache und der Stil eher schlicht gehalten sind. Literarisch anspruchsvolle Dystopien – etwa von Margaret Atwood – schaffen es, eine intensive Atmosphäre zu erzeugen und die Leser*innen in die Welt hineinzuziehen. Hier jedoch blieb ich stets auf Distanz. Besonders enttäuschend fand ich, dass das Buch keine klare Botschaft zu transportieren scheint. Ist es ein Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung? Oder eine Warnung vor den Gefahren radikaler Gruppen? Vielleicht beides, vielleicht keines von beidem.
Insgesamt hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass sich die Geschichte eher als Drehbuch für eine TV- oder Netflix-Serie eignen würde – mit spannenden Bildern und starken Frauenfiguren, aber ohne die Tiefe, die ein gutes Buch haben sollte. Wer nach einer wirklich fesselnden und literarisch überzeugenden dystopischen Geschichte sucht, sollte eher zu Die Unwürdigen von Agustina Bazterrica greifen.
Die Töchter des Nordens ist kein literarisches Meisterwerk. Man kann es lesen – aber man verpasst nichts, wenn man es nicht tut. Und eines der „100 besten Bücher des Jahrzehnts“? Das sehe ich definitiv nicht.