Klappentext:
„Sommer 1987, in einer Hinterhauswohnung in Prenzlauer Berg: Die achtjährige Ella wohnt mit ihren beiden kleinen Brüdern, den Eltern und Großeltern nah an der Grenze, doch davon bekommt sie wenig mit. Ihr Leben besteht aus orangenen Ziehbadewannen, Sommertagen an der Datsche und Balkonen, die von Häusern fallen. Bis ein Urlaub an der ungarisch-österreichischen Grenze ihrer Kindheit ein jähes Ende setzt und die Familie für immer zerreißt.
Zwanzig Jahre später führt das Tagebuch ihrer Mutter Ella zurück nach Berlin. Mithilfe der Notizen und Akten aus dem Stasiarchiv versucht sie zu rekonstruieren, warum die Flucht damals so verheerend gescheitert ist. Und was mit ihrem kleinen Bruder Heiko geschehen ist, den sie in all den Jahren niemals vergessen hat.
Schmerzlich schön erzählt Unser geteilter Sommer von Sehnsucht und Verlust und davon, was eine Familie im Kern zusammenhält.“
Ich muss zugeben „Unser geteilter Sommer“ hat mich tief bewegt und stark berührt. Vielleicht liegt es daran das in meiner eigenen Familie ähnliche Geschichten sich abgespielt haben und die hier erzählte Story (zwar frei erfunden aber mit realem Hintergrund) eben einfach alte Wunden aufreißt über die man eben nicht immer spricht bzw. die Erinnerungen an die damalige Zeit einfach schmerzen - egal ob man Kind war oder Erwachsener. Die Geschichte hier handelt von Ella. Damals mit 8 Jahren ändert sich plötzlich alles bei einem Urlaub der eigentlich ein besonderer werden sollte. Wurde er auch - die Familie wurde beim Fluchtversuch quasi entzweit, wurde erwischt und alles war vorbei. Ich will hier gar nicht zu viel erzählen denn somit wäre der komplette Spannungbogen von mir gespoilert - lesen Sie es selbst! Wir pendeln als Leser schlussendlich zwischen zwei Zeiten: dem Sommer ´87 und dem Hier und Jetzt mit Ella als erwachsene Person. Die Grundstimmung im Buch ist trübsinnig aber damit gleich nicht langweilig. Die Zeiten damals waren trüb und trist in der DDR, das kann ich aus Erfahrung nur bestätigen und Autorin Sophie Hardach hat das perfekt auf den Punkt gebracht. Es war in dieser Zeit alles etwas angefressen, etwas morbide, politisches Umdenken setzte langsam aber sicher ein, Unmut brannte in der Bevölkerung immer weiter auf und wurde dann auch mal laut - wie soll man denn so eine wechselhafte Zeit denn sonst beschreiben? Sicher hatte die DDR auch goldene Zeiten aber die waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als verblasst und befanden sich im Nirgendwo. Es wäre dem Regierungsapart der damaligen DDR lieber gewesen das ihr Volk weiterhin die Füße still hält, aber da haben sie die Rechnung nicht mit ihrem Volk gemacht und dem Drang nach Demokratie. Hier ist Wissen über die DDR und ihre Auflösung bzw. das Ende des Kalten Krieges mehr als von Nutzen!
Ellas Bestreben nach dem auftauchen des Tagebuches ihrer Mutter und den damit verbunden Notizen wühlen alles wieder in ihr hoch und ihr Drang nach einer Auflösung der Familiengeschichte entbrannte. Und man kann es Leser nur zu gut verstehen - Hardach vermag das dem Leser sehr eindringlich und gefühlvoll zu vermitteln ohne dabei kitschig oder klamaukig zu werden. Das Stasi-Archiv gibt nun endlich Informationen preis, die einerseits neugierig machen aber schlussendlich vielleicht eine Wahrheit ans Licht bringen die noch mehr schmerzen kann als ohnehin. Will man das alles wissen? Will man sich diesem Wissen wirklich aussetzen? Muss man es vielleicht? Das darf jeder ehemalige DDR-Bürger für sich selbst entscheiden und ich kann aus Erfahrung beide Seiten irgendwie verstehen. Ella kann ich auch verstehen. Sie geht ihrer Geschichte auf den Grund. Hegt sich doch noch immer die Frage in ihr was mit ihrem Bruder Heiko damals geschah. Der Mitarbeiter im Archiv wird in diesem Zeitpart ein weiterer Erzähler und wir erfahren damit eine stimmige weitere Sichtweise. Ella hat Sehnsucht. Sehnsucht nach Aufklärung, nach Antworten, nach Heiko…nach einem Ende dieses familiären Dramas.
Nochmal: Hardachs Schreibstil und die Wortwahl sind für meine Begriffe äußert präzise und stimmig gewählt. Ihre Beschreibungen sind definitiv authentisch und nicht aus den Fingern gezogen. Solche Geschichten wie die von Ella gab es leider mehr als reichlich. Sophie Hardach hat ein äußerst gutes Händchen bewiesen Geschichte auch mal kritisch zu betrachten und Themen anzusprechen, die zwar schon oft behandelt wurden/werden und weiter werden müssen um nicht in Vergessenheit zu geraten aber durch ihre bildhaften und detaillierten Beschreibungen wahrhaftig vor dem inneren Auge wieder zum Leben zu erwecken. Die Kindersicht von Ella erinnert mich sehr stark an meine eigene Kinderzeit damals und vielleicht fühlte ich mich deshalb auch so tief mit diesem Buch verbunden. Die Autorin hat hier in meinen Augen ein ganz besonderes Werk verfasst und dafür gibt es 5 Sterne!